Guatemala Jan-März 11
Auf grosser Reise 2010-2012 – Teil IV
San Pedro
Ich sitze im Garten vor unserer Hütte und sinniere über die Ereignisse der letzten fünf Wochen nach. Was habe ich auf der Rückseite unseres elektronischen Reisebuchs geschrieben? Dass wir die Güte, Grosszügigkeit und auch Gerissenheit der Menschen erfahren wollen. Nicht nur das, weiss ich jetzt, sondern auch deren Zorn und Eigenheiten oder auch Eigenartigkeiten. Aber vom Anfang her…
Es ist Samstag, heute vor fünf Wochen, wir überschreiten die Grenze von Mexiko nach Guatemala und setzen uns in den nächsten Mini-Van. Den ganzen Tag dauert die Fahrt von San Cristóbal nach San Pedro. Soweit verlief sie ruhig und, von der hügligen und schön grünen Landschaft abgesehen, eher unspektakulär. Erst als wir an einer Kreuzung aussteigen und uns in einen der farbigen, guatemaltekischen Chicken-Buses zwängen, um an unser Ziel am Lago de Atitlán zu gelangen, wird es richtig interessant. Vollgestopft von Einheimischen schaukelt der Bus los. Eine korpulente Frau in einem bunten Kleid bietet mir lächelnd einen Platz neben sich an. Der reicht zwar nur für die Hälfte meiner rechten Po-Backe, aber der Kassierer besteht darauf, dass sich alle Passagiere hinsetzen. Wir tuckern auf der holprigen Strasse dahin und machen immer wieder kurze Stopps und noch mehr Leute quetschen sich hinein. Nach einer Weile durchqueren wir Santa Clara, eines der kleinen Hügeldörfchen. Kurz darauf fahren wir über einen Pass und erhaschen den ersten Blick auf den See, der weit unten, eingekreist von Bergen und Vulkanen, in den Farben der untergehenden Sonne leuchtet. „Wow!“ entfährt es mir.
Ich blicke nach hinten, wo Seraina, eingezwängt zwischen zwei Guatemalteken, staunend aus dem Fenster schaut. Fast sind wir da. Die Strasse wird schmäler und steiler, die Kurven immer enger. „Wenn jetzt nur nicht die Bremsen versagen“, denke ich. Der Chauffeur ist erfahren, laut hupend verschafft er sich Raum und überholt mit seinem Ungetüm langsamere Autos und Lastwagen, während auf unserer linken Seite der Hang senkrecht abfällt. Nicht nur einmal muss er den Rückwärtsgang einlegen, um die Haarnadelkurve zu schaffen. Wenn wir kommen, müssen alle anderen weichen.
Als wir San Pablo erreichen, ist das Schlimmste und Spannendste überstanden. Und gleich nach San Juan fahren wir, als es bereits dunkel ist, in San Pedro ein. Für den Moment quartieren wir uns im Hotel Peneleu ein. Wir, das sind Seraina und ich und Chino, unser Freund aus Mexiko, den wir aus San Cristóbal kennen. Chino, der eigentlich José heisst (Chino nicht weil er etwa Chinese ist, sondern wegen seines lockigen Haares, was auf mexikanisch eben chino bedeutet), begleitet uns für eine Weile, um sein Nachbarland endlich mal kennenzulernen.
Zuerst sind wir ein bisschen enttäuscht, als wir durch die schmalen Gassen des Städtchens spazieren. Bars reihen sich an Restaurants, diese wiederum an Hotels und Internet-Cafés. Vieles ist in Englisch angeschrieben. Das Dorf scheint fest in der Hand von Amerikanern und anderen Ausländern zu sein.
Als wir am nächsten Tag den allmorgendlichen Markt besuchen und mehr von San Pedro sehen, ändern wir unsere Meinung jedoch. Die Menschen, die uns auf der Strasse begegnen, strahlen uns an. Jeder Einzelne begrüsst uns: „¡Buenos días, amigos!“ Die Fröhlichkeit und Offenheit der Männer, Frauen und Kinder hier erfreuen uns. Als Fremde fühlen wir uns sogleich akzeptiert und willkommen. Auch die einheimische Sprache gefällt uns. Wenn ich mich recht erinnere, gibt es 23 verschiedene Maya-Dialekte in Guatemala. Hier wird Tz‘utujil gesprochen. Aber in Tzununá zum Beispiel, das sich am gegenüber liegenden Seeufer befindet, sprechen sie einen anderen Dialekt. Glücklicherweise kann man sich aber überall in Spanisch verständigen. Nach drei Tagen im Hotel zügeln wir schliesslich in ein Häuschen etwas ausserhalb des Dorfes.
Von Mani und Linda, die letztes Jahr hier gewohnt haben, wissen wir von Clemente und seiner Frau Jesús, den Besitzern des Grundstücks. Sie sind einfach aufzufinden und vermieten uns das Haus gleich mit doppelter Freude, als wir die Grüße unserer Freunde ausrichten.
Da neben unserem Cabaña noch weitere Zimmer zu vergeben sind, denken wir an Markus, den bayrischen Rastamann, den wir in Palenque kennengelernt und auch in San Cristóbal wieder getroffen haben. Zufällig sind wir uns gestern wieder über den Weg gelaufen. Begeistert willigt er ein, als wir ihm ein Zimmer anbieten.
Für die ersten Tage sind wir, zusammen mit Chino, zu viert im Bunde. Wir geniessen die Ruhe in unserem Garten, weg vom Touristenzentrum. Ungestört können wir unsere spanischen Bücher lesen, feine Gerichte mit frischen Sachen vom Markt kochen und Yoga, Qi Gong oder was auch immer praktizieren. Chino zieht ein paar Tage später weiter, um sich Antigua anzusehen, bevor er nach Mexiko zurückkehrt. Ihn werden wir in einigen Monaten wieder treffen. Ausser einem Tagesausflug zum berühmten Markt in Chichicastenango, einer Wanderung zur „Maya-Nase“ (einem Berg am gegenüber liegenden Seeufer, der einem Gesicht gleicht) und Besuchen auf der Kaffeefarm, wo Mäsi, ein Freund von zu Hause, arbeitet, verbringen wir die meiste Zeit in San Pedro. Wie schön ist es, in einem Restaurant direkt am See zu sitzen, zu lesen oder einfach nur zu sein. Wir essen Falafel im Shanti Shanti, trinken Kaffee im Cristalino, schauen uns Filme im D‘Noz an und trinken einen über den Durst im La Clau. Oft treffen wir auf Leute, die wir in Mexiko schon getroffen haben. So auch auf die lustigen Griechen Agelos, Yanis und Nicos mit denen wir häufig ausgehen. Herrlich, wie man sich mit ihnen amüsieren kann! Nichts kann ihre gute Laune trüben. Wir freuen uns jetzt schon, sie in Griechenland zu besuchen.
Als Seraina ein Buch über Lehmofenbau entdeckt, erwacht ihre künstlerische Ader. Sie beginnt, einen kleinen Probe-Ofen aus Erde aus unserem Garten zu basteln. Stundenlang kann sie sich begeistert mit dieser Arbeit beschäftigen. So wächst in uns die Idee, einen grossen Ofen zu bauen, um darin Brot und Pizza zu backen. Als wir Clemente fragen, ob wir das auf seinem Grundstück machen dürfen, ist er sofort einverstanden.
“Ich will auch gleich einen in meinem neuen Haus“, meint er. Noch keinen Finger bewegt und schon haben wir unseren ersten Auftrag.
Damit beginnen aber auch die Schwierigkeiten mit Markus. Anfangs macht es uns allen grossen Spass. Mit Markus‘ Kumpel Mirko, der gerade angekommen ist, stellen wir das Fundament aus schweren Steinen auf. Wir bestellen Lehm und Sand und wollen gleich weitermachen. Doch die Erde ist nicht sehr lehmhaltig. Die ersten Differenzen zwischen uns und ihm entstehen, als Seraina und ich zwei Tage später trotzdem beginnen, ohne Markus Mischungen zu machen, da bisher kein besserer Lehm vom Himmel gefallen ist.
Der Gedanke, dass die Ruhe und Leichtigkeit, die ich an Markus schätzen lernte, nicht immer ganz echt ist, ist mir nicht das erste Mal durch den Kopf gegangen. Klar ist, dass er doch ganz gerne redet. Meistens von sich selbst, was anfangs nicht den Anschein hatte. „Selbstverliebtheit“, kommt mir immer wieder in den Sinn, „und Egoismus.“ Nun, er wirft mir bei der Auseinandersetzung etwa dasselbe vor. Wie dem auch sei. Eines Nachts kommt es zur Eskalation. Den Auslöser nenne ich hier „das Avocado-Problem“. Näher gehe ich nicht darauf ein, weil mir das Ganze auch ein Rätsel bleibt. Leider muss unser erst gerade fertig gestellte Lehmofen darunter leiden. Als am nächsten Morgen noch Esswaren und andere Gegenstände an unsere Tür fliegen und der Lärm uns weckt, reicht es mir dann doch. Ich stelle ihn zur Rede. Doch wie es so oft ist mit Streitereien, resultiert auch diese nur im gegenseitigen Unverständnis. Keiner will gehen, um dem Anderen dieses schöne Fleckchen zu überlassen. „Nein, mir gefällt es hier, warum sollte ich also gehen“, sagen wir beide fast im Chor.
Gut haben Seraina und ich mit Mäsi vereinbart, für die nächsten Tage bei ihm auf der Farm einen zweiten Ofen zu bauen. Die andere Umgebung und die Menschen in dieser Kommune tun uns gut. Harte Knochenarbeit und wieder einmal etwas Wing-Chun-Training mit Mäsi, der einige Levels fortgeschrittener ist als ich, lassen unsere Seelen beruhigen.
Dass es sich nicht lohnt, sich im vornherein zu beunruhigen und unnötig Gedanken zu machen, zeigt sich, als wir nach fünf Tagen wieder nach San Pedro zurückkehren. Unwissend, was uns erwartet, spazieren wir zu unserem Haus und siehe da, still und verlassen begrüsst es uns. Manchmal lösen sich „Probleme“ von selbst.
Unser zweiter Monat in San Pedro ist angebrochen und es gibt noch so einiges zu tun. Ein dritter Lehmofen steht an. Und vielleicht bekommen wir noch Rad fahrenden Besuch.
Ofenprojekt
Alles begann mit einem Buch. Normalerweise halte ich mich möglichst weit entfernt von „technischen“ Büchern. Doch an diesem blieb ich beinahe kleben. Es ging um den Bau eines Lehmofens. Es war die Rede davon, dass dies ein gutes Projekt mit Kindern sein kann. Ja, wenn dies Kinder können, dann kann ich das sicher auch. Und ausserdem fehlt mir hier sowieso ein Backofen. Mmmh Lasagne….. Und schon sitze ich im Garten, beide Arme voll Dreck und klatsche meinen ersten Ofen zusammen. Lehm habe ich natürlich nicht, die Gartenerde wirds fürs Erste tun. Es macht so richtig Spass den Dreck aufeinanderzustapeln und zu formen. Ich muss an meine Zeit im Sandkasten denken. Der Ofen ist bald fertig. Er ist nur etwa 30 cm gross, gerade mal gut, um einen Muffin zu backen – aber er hält.
Erstes Projekt also gelungen. Jetzt muss ein grosser Ofen her. Bei einem Besuch frage ich nebenbei den Vermieter Clemente um die Erlaubnis, eine Gartenecke mit dem Ofen zu verbauen. Er bricht in heller Begeisterung aus: „Ja! Sicher! Und bei meinem neuen Haus würde ich auch sehr gerne einen haben!“ Er ist kaum zu bremsen. Das ging ja schnell. Schon steht der erste Auftrag vor der Tür, ohne überhaupt mal einen grossen Ofen gebaut zu haben. Kurz darauf tragen wir Steine in unseren Garten, um ein Podest für den Ofen zu bauen. Es geht ruckzuck und das Podest steht. Die Männer, die den Lehm und den Sand bringen, kommen auch schon angefahren. Über zehn 50 kg Säcke sind im Auto. Ich will auch mithelfen und lasse mir von einem Mann einen Sack auf den Rücken heben. Er ist unglaublich schwer. Alle meine Muskeln spannen sich, im Versuch das Gewicht zu heben. Bei jedem Schritt besteht die Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. Ich fühle mich wie eingeklemmt in einer Presse. Nach dem dritten Schritt wirds plötzlich leichter – einer der Männer stützt den Sack von hinten. Solche Säcke tragen Einheimische tagtäglich mithilfe eines Riemens um die Stirn und dem Sack auf dem Rücken. Für mich ist es unmöglich, den Sack auch nur einen Millimeter vom Boden zu heben. Das Material liegt nun also im Garten – der Bau kann beginnen. Doch leider bin ich bald die Einzige, die den Ofen mit diesem Material bauen will. Zugegeben, es ist schlecht. Eher Sand als Lehm. Sogar die Gartenerde ist fast besser. Zudem merke ich bald, dass es wohl wirklich besser wäre, mit Kindern ein solches Projekt zu starten. Kinder benehmen sich in solchen Fällen meist weniger kindisch als gewisse Erwachsene. Der Streit im Haus beginnt. Simon und ich beschliessen, den Ofen doch zu bauen, wenn auch alleine.
Wir versuchen, die Erde einen Tag einzuweichen, da ich im Internet vom Grubenlehm gelesen habe, der eingeweicht werden muss, damit sich der Ton in ihm lösen kann. Dies nützt jedoch kaum. „Wie wäre es mit Zucker oder Honig, um die Erde klebend zu machen?“, witzelt Simon umher. Wir sind ratlos. Tannennadeln wollen wir auf jeden Fall beimischen. Bringt bei solcher Erde jedoch auch nicht viel. Wir fragen Clemente um Rat. Er hat die Lösung: “Mischt Panela-Zucker hinein.“ Wir können uns vor Lachen kaum halten und verstören den armen Clemente vollständig.
Am nächsten Tag bin ich tatsächlich am Panela-Zucker aufkochen, um die Erde klebrig zu machen. Doch nach erfolgreichem Mischen von Erde und Zucker stürzen sich die Ameisen in dieses Paradies. Das war wohl auch nichts und so beginnen wir, den Ofen ohne solche Zusätze zu bauen.
Drei Tage später steht der Ofen. Er ist schön. Die Erde etwas bröckelig, jedoch sehr hart – er bricht nicht zusammen. Wir sind zufrieden mit unserem Werk. Auch Clemente bewundert ihn, meint jedoch: „Chicita, chicita! En la nueva casa quiero un horno mas mas grande.“ Und macht mit den Armen einen grossen Bogen durch die Luft, um zu unterstreichen, wie viel grösser der Ofen im neuen Haus sein soll. Was er wohl alles in den Ofen stecken will?, wundere ich mich.
Unser Chicita-Ofen hat leider schon einen Tag später Reparatur-Arbeiten nötig. Den Arg einer ungerechten „Arbeitsverteilung“ oder was weiss ich, musste der Ofen ausbaden. Zum Glück war er stärker als sein Zerstörer und erlitt nur einen Bruch an der rechten Seite des Eingangs.
Mäsi, mein ehemaliger Mitbewohner in der Schweiz, ist zurzeit nur knapp eine Stunde von uns entfernt, wo er auf einer Kaffee-und-Anderes-Farm arbeitet. Er hat sich wohl vom Ofenfieber angesteckt, denn er will auf der Farm mit einem solchen Bau beginnen. Uns ist es gerade recht, den Standort für ein paar Tage zu wechseln und ihm zu helfen. Mit Pickel und Schaufel holen Simon und Mäsi Säcke von gutem Lehm aus einem Hang. Ich bin die Schaufelträgerin. Habe ja inzwischen gelernt, was Viel-Gewicht-Tragen heisst. Und ausserdem haben die Frauen ja noch genug zu tragen, wenn sie erst mal schwanger sind, würde wahrscheinlich mein ehemaliger Lehrmeister sagen.
Halbe Felsen werden den Hang hinunter gerollt, um das Podest zu bauen. Vor dem Ofenplatz entstanden bereits Treppenabsätze. Das Ganze umgibt eine Steinmauer mit eingebetetem Blumenbeet und das Holz und Werkzeug hat ebenfalls seinen Ort. Der Ofen kann also nur perfekt werden. Am Fluss holen wir Sand und die Tannennadeln sind bereits vorhanden. Nun kann es beginnen. Wir stampfen alles zusammen zu einem harten Mix. Das ist wirklich echter Lehm, nicht so wie unsere Erde. Der Mix ist so hart, dass es schwer ist, ihn flach zu drücken und zu formen. Bald entsteht ein Bau-Workshop, da auch die anderen Volunteers der Farm das Interesse gepackt hat – zudem wird uns die Arbeit etwas abgenommen. Wir kommen schnell voran. Doch das Haus und die Wohn-Ungewissenheit in San Pedro zwingt uns zum Rückzug, bevor der Ofen steht. Er ist jedoch mit all den Arbeitskräften in guten Händen. Mäsi und Simon buckeln noch zwei Säcke voll Lehm auf den Rücken und kämpfen sich mit diesem die ganze halbe Stunde von der Farm bis zum Hafen hinunter – ich hatte wieder mal Glück. Das Material dient zum Bau des Ofens im neuen Haus von Clemente, mit dem wir bald beginnen werden.
Die Reise zu den Pyramiden von El Mirador
Wie die Zeit vergeht. Nach zwei Monaten in Guatemala sind Seraina und ich nach Mexiko zurückgekehrt. Wir sind momentan in der über 20-Millionen-Stadt Mexico Ciudad und dürfen die Gastfreundschaft von Marcos und Aline geniessen, die wir in San Cristóbal kennenlernten. Nachfolgend beschreiben wir unser guatemaltekisches Dschungelabenteuer nach El Mirador.
San Pedro nach Semuc Champey
Um halb neun fährt unser Bus Richtung Antigua, Coban und Semuc Champey ab. Neben Simon und mir, sind auch Mäsi und zwei Amerikaner, Ben und Dave, die ebenfalls auf der Farm in Tzununá arbeiten, mit im Bunde. Etwa zwölf Stunden Fahrt liegen vor uns. Die ganze Reise verläuft schrecklich. Zuerst stecken wir in Antigua im Stau. Dann ist von Mäsi plötzlich nichts mehr zu hören. Er sitzt in einer Busecke versunken und kämpft gegen üble Bauchschmerzen an, die er seit Tagen hat. Ausgerechnet jetzt befinden sie sich auf dem Höhepunkt. Die Schmerzgrenzen sind eindeutig überschritten. Als er hört, dass die Fahrt noch drei Stunden dauern soll, gibt er auf, was sonst gar nicht zu seiner Art passt. Er will raus hier. Der Fahrer lässt sich jedoch erst durch einen geplatzten Reifen bremsen, den wohl eine höhere Macht verursacht haben muss. Mäsi windet sich am Strassenrand am Boden vor Schmerzen. Als er aufstehen will, wird er sogar kurz bewusstlos. Trotzdem soll es jetzt weitergehen. Zum Glück steigen bald mehrere Mitfahrer aus und Mäsi kann sich auf einer ganzen Bankreihe hinlegen.
Erst sehr spät kommen wir im vorreservierten Hotel von Semuc Champey an. Am nächsten Tag werden wir aber von Wasserfällen mit azurblauen Bädern für alle Strapazen belohnt. Wunderschön liegen sie mitten im Grün des Dschungels und laden uns zum genüsslichen Eintauchen ein.
Semuc Champey nach El Remate
Ein bisschen oberhalb von Flores liegt El Remate, das wir nach einem weiteren Tag Mini-Bus-Fahren erreichen. Das kleine Dörfchen, das die Touristenjahre hinter sich zu haben scheint, liegt ruhig am grossen, karibisch anmutenden Petén-Itzá-See.
Im Hotel Sak Luk ist es gemütlich. Die besten Spaghetti eh und je gibt es hier. Das scheint der perfekte Ort zu sein, um einfach mal flach in der Sonne zu liegen, sich von den Fischen aus der Hand fressen zu lassen und jede Stunde den Kopf ins Wasser mit der perfekten Temperatur, die es demnach wirklich gibt, zu tauchen.
Maya-Tempel in Tikal
Von El Remate fahren wir mit dem Bus hinauf nach Tikal. Schliesslich sind wir nicht nur zum Baden hergekommen. Tikal ist berühmt für seine Pyramiden und das nicht nur wegen Mel Gibsons Apocalyptico. Jedes Jahr strömen hier die Touristen in Scharen her. So auch wir. Es steht uns ein Tag des Treppen-Steigens bevor. Eine gute Vorbereitung also für unser Vorhaben von nächster Woche.
150 Quetzales kostet der Eintritt ins Tikal-Gelände. Dies ist mit Abstand zu viel. Trotzdem beugen wir uns dem Preis. Um eine halbe Stunde vor Einlass reinzugehen, damit wir den Sonnenaufgang auf der Spitze einer Pyramide sehen können, wollen die Wächter von jedem 50 zusätzliche Quetzales. Das soll wohl ein Witz sein. Zu sehen wäre eh nichts gewesen. Der Dschungel und die Pyramiden werden umhüllt vom allmorgendlichen Nebel.
Der Park ist gross und die Pyramiden wirklich schön. Wir sitzen auf einer grossen Pyramide, sehen bis an den Horizont und lassen uns verzaubern von dem Anblick der Sonne, die sich langsam durch den Nebel kämpft. Beeindruckend sind auch die stolzen Ceiba-Bäume. Für die Mayas sind sie heilig und stellen eine Verbindung zur Welt der Götter dar. Natur und Architektur gehen hier nahtlos ineinander über. Am Nachmittag sind wir bereits zurück in El Remate. Entflohen von der Hitze schwimmen wir im erfrischenden Nass des Sees. Wir können nur ahnen, dass uns weiter nördlich noch eine Steigerung des heutigen Tages erwartet.
Auf nach Carmelita
Heute Morgen sind wir früh los. In zwei Tagen haben wir eine strenge Fünftageswanderung vor uns; wir müssen noch so einiges organisieren. Kurz vor acht standen wir auf der Hauptstrasse El Remates und schon fuhr auch schon der Sammelbus vor. Er war zwar voll, aber wir hatten noch lange Platz. Das Gepäck wurde aufs Dach gebunden und wir zwischen die anderen Passagiere geschoben.
Auf dem Weg kamen noch einige Menschen mehr dazu bis das Fahrzeug schliesslich wirklich voll war. Nach einer halben Stunde durften wir aber aussteigen. Im Einkaufszentrum vor Santa Elena, das doch sehr amerikanisch anmutete, versorgten wir uns mit allerlei Energie in Plastik für den langen Marsch und fuhren anschliessend mit einem Taxi das letzte Stück in die Stadt hinein. Als wir ankamen, merkten wir, dass wir an eine andere Busstation gebracht wurden als zuerst gedacht.
„Ich geh‘ fragen“, gab uns Mäsi Bescheid und verschwand zwischen Leuten und hinter Bussen. „Wo ist er hin?“ Niemand wusste eine Antwort. Wir stellten unsere Rucksäcke hin und warteten. Aber da tauchte er auch schon wieder auf, winkend und rufend. „Zwei Minuten!“Wir hatten kaum Zeit, uns von Ben zu verabschieden, der nach Guatemala Ciudad weiter wollte. Der Mini-Van, der uns nach San Andrés bringen sollte, hielt nochmals mitten im Markt, wo uns der Fahrer und sein Helfer, der Geld- und Passagiereintreiber, den Getränke-, Comida-, Wunderheilmittelverkäufern überliessen. Als alle Sitze besetzt waren, ging es weiter. Eine halbe Stunde später, wir waren bereits wieder alleine im Bus, bot uns der Chauffeur an, uns für 25 Dollar pro Person die vier Stunden nach Carmelita zu fahren. „No, gracias, es demasiado.“ Wir wussten, dass wir viel billiger dahin kämen.
Den halben Tag reisen wir schon umher und auch die andere Hälfte soll so weiterverlaufen. Aber erst mal haben wir eine dreistündige Pause. Der eine Bus, der pro Tag ins entlegene Carmelita fährt, kommt erst um halb drei nachmittags. Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel. Die kleine Kreuzung, an der wir abgesetzt worden sind, ist bestimmt nicht der geeignete Ort für diesen Zwischenstopp.
Bei einem jungen Mann lassen wir uns nochmals die Abfahrtszeit unseres Busses bestätigen, dann buckeln wir unsere Rucksäcke und wandern los. Glücklicherweise nicht weit. Die Hitze ist betäubend. Gleich am Strassenrand unweit erwähnter Kreuzung finden wir eine kleine Baracke mit Tischen und Stühlen. Bierwerbungen zieren die Wände. „¿Hay comidas?“ „No, no hay.“ Aber Bier haben sie hier. Wir bestellen je ein Kühles und beginnen, Karten zu spielen, um das Warten zu vereinfachen.
Und da sitzen wir nun an einem kleinen Tisch vor unseren Karten und dem Bier in der kleinen Strassenkneipe und warten auf den Chicken-Bus. Es ist wenig Verkehr, auf der Strasse wie auch in der Bar. Da fährt ein grosser, voller Bus vorbei. „Da! Unser Bus!“ witzle ich, wohl wissend, dass wir noch gute zwei Stunden zu warten haben. Überrascht schauen die anderen auf. Dave wirft einen Blick auf seine Uhr. „Sagten sie „dos y media“ oder „doce y media“?“ will er wissen. „Hmmm …“ Er springt auf, rennt auf die Strasse und schreit dem Bus nach, der bereits weitergefahren ist. „Shit! War das unser Bus? Ist das der Einzige heute?“ fragt er die Kellnerin. „Si, es la camioneta para Carmelita“, meint sie. Da sieht Mäsi den Bus 300 Meter weiter nochmals anhalten. Er sprintet los. Ohne zu wissen, ob er es schaffen würde, packen wir unser Zeug zusammen, bezahlen und rennen ebenfalls los.
„Das war ja wieder knapp“, sage ich, „aus Guatemala werde ich nicht schlau. Da stellt man eine Frage, kriegt ein Dutzend Antworten darauf und muss schliesslich doch rennen, um den Bus nicht zu verpassen.“
Die Sonne scheint mit voller Kraft, doch der Fahrtwind kühlt angenehm ab. Der Bus ist so überfüllt, dass wir und eine Handvoll Guatemalteken es uns auf dem Dach bequem machen durften, anstatt uns ins Innere zu zwängen. So macht Reisen Spass. Wir fahren vorbei an kleinen Holzhäusern und noch kleineren Dörfchen, immer alles geradeaus, Richtung Norden. Auf dem Land, wo einst dichter Urwald wuchs, stehen nur noch vereinzelt Bäume, Palmen und Büsche. Pferde und Rinder grasen auf den Weiden. Je weiter wir kommen, desto mehr Leute steigen aus, sehnlichst erwartet von Kindern und anderen Familienmitgliedern. Wir können dann doch froh sein, auf halber Strecke vom Dach in den Bus zu wechseln, zu stark brennt die Sonne, zu hart für das Gesäss ist das Dach.
„An der Kreuzung müsst ihr umsteigen. Dieser Bus fährt hier nicht weiter. Aber in zwei Stunden kommt der Nächste, der fährt nach Carma“, erklärt man uns. „Das wäre wohl der „dos y media“-Bus, den wir vorher nehmen sollten“, denke ich laut. Also steigen wir aus, genehmigen uns im kleinen Dorfladen ein erfrischendes Bier und setzen uns in den Schatten. Eine ältere Frau kommt vorbei und verkauft mir „Elotes“, gekochte Maiskolben. Sie schmecken mir überaus gut, sind sie doch das erste Warme, das ich heute zwischen die Zähne bekomme.
Bald kommt der Bus und bringt uns die letzten zehn Kilometer nach Carmelita. Das Dörfchen am Ende des Strassennetzes, nur noch 77 Kilometer von der mexikanischen Grenze entfernt, gefällt mir sofort. Nur ein paar Holzhäuschen links und rechts sind zu sehen, getrennt von einem Fussballfeld voller Tierexkrementen. Eine Herde Schafe liegt faul im Schatten. Es ist trocken und heiss. Hier befinden sich unser zwischenzeitliches Ziel und der Ausgangspunkt unserer Wanderung. Zum Anfang der Maya-Zivilisation, zur Pyramidenstadt El Mirador.
Der Bus rollt quer über das Fussballfeld und hält vor einem Haus. „Hier findet ihr Führer und könnt übernachten“, erklärt uns der Fahrer. Wir glauben ihm und verlassen sein Gefährt. Und landen vor Rudis Füssen. Wir haben gehört, dass das halbe Dorf aus Führern nach El Mirador besteht und tatsächlich ist auch Rudi einer davon. Der vielleicht 35-Jährige heisst uns willkommen. Er ist uns allen wegen seiner offenen und ehrlichen Art gleich sympathisch. Sein Preis für Maultiere und Wasser ist mit 200 Quetzales pro Person viel billiger als wir hoffen konnten. 200 verlangen die Agenturen in Flores auch, Guide, Koch, Essen, Tragtiere und Hängematten inklusive, aber 200 US-Dollar. Das wären ungefähr 1500 Quetzales. Dafür könnte man könnte zwei Monate ein Haus mieten, gut 60 Liter Bier trinken, 6000 Tortillas kaufen oder 150 Mal einfach aber gut essen gehen. Und die zahlt nur ein waschechter Spasstourist. Da kann man sich ja denken, wie die Agenturen im Geld schwimmen. So sind die 200 Quetzales unglaublich günstig für uns und für Rudi immer noch ein grosses Einkommen. Ausserdem lässt er uns hier umsonst nächtigen, im Haus, das einmal das Tour-Büro werden soll. Vollgegessen mit Tortillas, Bohnen und Rührei legen wir uns nach einem langen Tag unter einem spektakulären Sternenhimmel schlafen.
Am nächsten Tag wache ich kurz nach Sonnenaufgang auf. Die Vögel pfeifen und zwitschern alle auf einmal. Noch ein Tag der Ruhe erwartet mich, denn viel mehr vorzubereiten bleibt nicht. Als alle wach sind, spazieren wir zum Comedor, wo es Tortilla, Bohnen, Rührei und Frischkäse gibt. Naja, wir wollen hier nicht wählerisch sein.
Auf dem Fussballfeld streunen Hunde, Schafe, Hühner, Schweine und Maultiere herum. Richtig idyllisch. Nach dem Essen besprechen wir mit Rudi und seiner Familie, die draussen vor ihrer Hütte sitzen, Einzelheiten unseres Trips. Danach gehen wir an den Fluss, den er uns empfohlen hat, um uns abzukühlen. Der Fluss entpuppt sich nur als kleiner Bach, wo die Dorfeinwohner ihre Wäsche und ihre Körper zu waschen pflegen. Entsprechend seifenhaltig ist er. Während ich die Umgebung erkunde, fange ich mir gleich ein paar Dutzend dieser winzigen, verhassten Zecken ein, die in Mexiko schon Seraina das Leben schwer machten. Das kann ja heiter werden auf dieser Wanderung.
Am Abend kommen schliesslich unser letzten drei Gefährten an. Sophie aus Bern mit ihrem Freund, Diego, und dessen Kumpel, Pitu, aus der guatemaltekischen Hauptstadt.
Die Dschungelwanderung
Erster Tag
Um fünf Uhr klingelt der Wecker. Ein langer Tag steht bevor. Wir wollen früh los. Um sechs Uhr erfahren wir, dass wir einen neuen Begleiter erhalten werden. Rudi fühlt sich nicht gut. Wir laufen also los. Ich denke sofort an einen der billigen Horrorstreifen, in dem ein paar Jugendliche sich alleine aufmachen in die wilde Natur für ein Erlebnis, welches jedoch nicht so erfreuend enden wird, mitten auf der Reise sollte ich diesen Gedanken zu spüren bekommen.
Noch haben wir viel Energie. Juan, der neue Begleiter, kommt jedoch mit den drei störrischen Eseln kaum nach. Der Wald ist nicht dicht. Schmale, eher junge Bäume besetzen ihn und werden umringt mit anderen teilweise kuriosen Pflanzen. Nach vier Stunden kommen wir in Tintal, der ersten Grabstätte, an. Auf dem Plan, der einen Überblick über die umliegenden Stätten gibt, bemerken wir, dass wir gerade 40 Minuten neben Steingebilden gelaufen waren und es gar nicht bemerkt haben.
Im Camp leben ein paar Einheimische, die gerade dabei sind, einige Holzhäuser mit den bekannten Palmwedeldächern zu bauen. Unterkünfte vielleicht. Viele Maultiere stehen herum. In der Nähe gibt es einen Teich voll mit Wasserpflanzen, die einzige Wasserquelle in der Gegend. Es hat den Anschein, als könne man auf diesem grünen Teppich gehen. Als ich mir mit einem Kessel Wasser schöpfe, um mir eine Dusche zu gönnen, verschwindet gerade eine Schildkröte im Gewächs des Teichs.
Vor Sonnenuntergang führt uns Juan zu einer halb überwachsenen Pyramide. Wir steigen die steile Treppe hoch. Der Ausblick von oben ist fantastisch. Wir sehen auf ein grünes Meer hinunter. Ein Meer aus Bäumen, in alle Richtungen, soweit das Auge reicht. Vereinzelt kann man weitere Hügel ausmachen. Andere Pyramiden und Gebäude. Und ganz weit weg am Horizont, klein und unscheinbar, entdecke ich eine Erhöhung. El Mirador.
Zweiter Tag
Eigentlich wollten wir früh los. Um sechs Uhr. Aber es regnet. Mitten in der Nacht bin ich aufgesprungen und habe das Aussenzelt montiert, da Tropfen, Blitz und Donner den Regen ankündigten.
Bald lässt er aber nach. Trotzdem, bis alle bereit und auch die Maultiere wieder gesattelt sind, ist es bereits nach acht Uhr. Wir marschieren los, Juan mit seinen Maultieren markiert wieder das Schlusslicht. Wir gehen ein paar Stunden, ab und zu kreuzen und überholen wir andere Gruppen und Maultiere, immer weiter in eine grüne Welt hinein. Plötzlich raschelt es links vor mir. Eine Schlange schiesst vor meinen Füssen über den Weg und hinein in den Busch. Ansonsten bleibt es ruhig.
Wir laufen und laufen. Die Wege sind teils trockene Erdkrusten mit tiefen Eindrücken, die von der Regenzeit und der zugehörigen Sumpflandschlaft zeugen. Teilweise sind alte, weisse Mayastrassen zu erkennen.
Meine Beine ermüden heute viel früher, immer wieder stolpere ich, bis es dann doch zum Fall kommt. Wir machen eine halbe Stunde Pause, was mir gerade recht kommt. Noch zwei Stunden.
Ich höre Donnergrollen, Wind kommt auf. Dann plötzlich blitzt der Himmel auf, ein ohrenbetäubender Knall. Ein Windstoss fährt durch die Kronen der Bäume. Dann eilt ein Rauschen heran und wird immer lauter. Der Regen.
Neben mir bricht auf ein Mal helle Aufregung aus. Nur wenige Meter neben uns ist gerade ein Baum umgefallen. Der Wind hat es geschafft, einen Baum zum Sturz zu bringen. Wenn die Bäume so schwach sind, dann kann ja jeder gefährdet sein!
Als der Vorfall noch nicht ganz vergessen ist, sehe ich einen zweiten Baum ganz in der Nähe umkippen. Er verursacht ein gewaltiges Krachen. Nun fängt mein Herz zu rasen an.
Die Wolken durchzieht ein Blitz und die Regentropfen scheinen alle gleichzeitig vom Himmel zu fallen. Der Wind rüttelt an den Bäumen. An jedem Baum springe ich schnell vorbei, in der Angst er könnte der nächste Fallende sein. Dies gestaltet sich in einem solchen Wald jedoch als äusserst schwierig. Der Gedanken des Horrorstreifens kommt in mir wieder auf. Mit dem Unterschied, dass ich mich nun mittendrin fühle.
Die Bäume wackeln gefährlich. Kalter Schweiss vermischt sich mit dicken Regentropfen. Ich sehe mich schon unter dem nächsten Baum liegen. Gibt es eine Möglichkeit dieser Situation auszuweichen? Soll ich schneller oder langsamer gehen, um dem Fall zu entkommen? Nein, denke ich, wenn es wie in den Filmen ist, dann funktioniert das nicht. Wenn der Tod einen will, dann kriegt er ihn.
Ein ganzer Film läuft vor meinen Augen ab, und ich beginne zu rennen. Doch die glitschigen Steine mahnen mich zur Vorsicht. Nur schön ruhig bleiben. Doch kein weiterer Baum fällt. Ich renne immer noch, aber diesmal mit aufkommender Erleichterung über diese Erkenntnis. Langsam beginne ich den strömenden Regen und das nahe Donnergrollen zu geniessen. Ich fliege beinahe durch den Wald, befreit von der Last der Angst. Das Wetter strömt den ganzen Schweiss und die brennende Hitze weg. Er füllt den Kopf mit Klarheit und Energie. Es fühlt sich an wie ein Aufwachen aus einem verwirrenden und gehetzen Traum. Es geht schnell voran. Bald werden wir im El Mirador sein.
Die Sonne scheint wieder und bringt eine angenehme Ruhe in den Wald – doch wieso fallen mir trotzdem Wassertropfen auf den Kopf? Kaum nach oben gesehen, entdecke ich einen Affen. Meinen Allerersten.
Es ist ein Spinnenaffe. Er sitzt weit oben auf dem Ast und schaut mit einem frechen, etwas arroganten, aber klugen Blick nach unten. Wahrscheinlich hat er sich gerade in den Kopf gesetzt, uns aus SEINEM Waldstück zu vertreiben. Er springt von Ast zu Ast, um direkt über uns zu sein, streckt den Arm aus und schüttelt uns energisch die Wassertropfen der Blätter auf den Kopf. Ich bin fasziniert. Da wir uns so nicht vertreiben lassen, ja sogar mit heruntergeklappten Kinnladen vor Staunen stehen bleiben, beginnt er, Pflanzen, die auf dem Baum wachsen, auszureissen und nach uns zu werfen. Vor Kurzem las ich einen Bericht über diese Affen, welche demnach gerne den Touristen auf den Kopf scheissen. Dieser Gedanke stimmt mich dann doch zum Weiterlaufen.
Vor El Mirador erhebt sich eine Ruine, die Grupo la Muerta. Der Anblick ist wunderschön und eine echte Belohnung nach dem anstrengenden Tag. Sie befindet sich noch halb versteckt im Grün der Natur und ist eine von wenigen, in der man in eine Höhle voll Fledermäusen einsteigen kann.
Dritter Tag
Die ganze Nacht hat es geregnet. Draussen ist alles, wie an einem Open-Air-Festival, nass und schmutzig. Sei es, wie es ist, der bewölkte Himmel macht uns keinen Strich durch die Rechnung. Nach einem kurzen, aber doch unendlich langen Weg, erreichen wir El Mirador. Erschöpft schmeisse ich erst mal den Rucksack hin. Wir schnallen die Tiere ab und bauen die Zelte auf. Es sieht wieder nach Regen aus. Wir essen eine weitere Ration unseres Müeslis (unsere Dschungelverpflegung besteht weiter aus Keksen, Brot, Nüssen und ein paar Orangen), dann mache ich mich auf. Ich will die Umgebung erkunden, bevor es ganz dunkel ist. Schliesslich haben wir das Ziel unserer Wanderung erreicht.
Ich gehe alleine einen Pfad entlang, der mitten hinein in die antike Maya-Stadt führt. In der Dämmerung sehe und höre ich überall Tiere. Coatis, die Waschbären nicht ganz unähnlich sind, Vögel, Insekten. Dann auch Affengeschrei. Ich folge den Lauten eine Treppe hinauf zu einer Ausgrabungsstätte. Ich steige die freigelegte Pyramide hinauf, um näher an die Bäume zu gelangen, wo ich die Affen vermute. Da entdecke ich einen auf dem obersten Ast eines Baumes. Noch während ich ihn anschaue, raschelt es im Baum hinter mir. Sieben Affen sitzen oder hangen im Geäst und starren mich an. Ich fühle mich fast wie Mogli im Dschungelbuch. Schade verstehe ich sie nicht ganz.
Plötzlich klettern drei von ihnen einen Baum näher zu mir, ein weiterer macht sich in die entgegengesetzte Richtung auf. Weiter drüben höre ich andere rufen und schreien. Sie sind überall. Ich will mich zurückziehen und gehe die Pyramidentreppe wieder hinunter. Aber die Affenbande kommt auch näher. Wollen die mich einkreisen? Trotzig bleibe ich stehen und beobachte den einen, der Gewächs von seinem Ast fallen lässt, um mir Angst einzujagen. Ich schaue ihnen noch eine Weile zu, denn zu nahe heran trauen sie sich doch nicht. Dann verabschiede ich mich und schlage den Weg Richtung Camp ein, während ein ganz Aufsässiger mich noch ein paar Bäume zu verfolgen scheint.
Ein Teil der Gruppe macht sich auf Besichtigungstour. Bevor wir aber weiter können, müssen wir uns ins Gästebuch eintragen. Stolz werden uns darin zwei Namen gezeigt. Gestern war anscheinend der Prinz von Monaco hier zu Besuch, ein Tag zuvor Mel Gibson. Will er einen weiteren Film über die Mayas drehen? Und sind die beiden auch mit Mauleseln gekommen? Wahrscheinlicher ist, dass sie mit dem Helikopter hergebracht worden sind.
Zu viert spazieren Dave, Mäsi, Seraina und ich durch den Wald, müde aber froh, einmal ohne Gepäck unterwegs zu sein. Immer wieder tauchen Ausgrabungsstätten zwischen den Bäumen auf. Seit über 25 Jahren wird hier schon gegraben, verschiedenste Pyramiden und Tempel von Erde und Wald befreit. Dabei werden noch immer neue Geheimnisse dieser 2000 Jahre alten Welt entdeckt. So wurde zum Beispiel 2009 ein vier Meter langer und drei Meter hoher Mayafries gefunden, der ungefähr aus dem Jahr 300 v. Chr. stammt und damit der älteste bislang bekannte Mayafries ist. Für wenige Monate pro Jahr arbeiten mehrere hundert Wissenschaftler und Gehilfen hier. Momentan befinden sie sich aber alle im Labor, was uns ermöglicht, die riesigen Ausmassen dieser präklassischen Metropole in Ruhe auszukundschaften. Schliesslich stehen wir auf dem höchsten Bauwerk der Mayas, dem 72 m hohen La Danta (Tapir) Tempel. Der Ausblick von hier oben ist noch gigantischer, noch weiter als von Tinta. Bäume, Bäume, Bäume. Weiter als man sehen kann. Eindrucksvoll. Diese Reise hat sich mehr als gelohnt.
Auf dem Rückweg zum Camp merke ich, dass mich jede Kraft verlassen hat. Wir ruhen uns alle ein wenig aus. Dann machen wir uns nochmals auf, denn wir haben erst einen kleinen Teil bestaunt. Wir folgen einem Pfad, der uns zu einer weiteren Pyramidengruppe bringt. Nach der Grupo Guacamaya, den Templos Danta, Mono und Léon und der Compleja Cascabel wollen wir uns zum Abschluss noch an die steilen, langen Treppen des Tigre Tempels wagen, dessen Volumen die Tempel I und II plus die Gran Plaza von Tikal einnimmt.
Doch plötzlich raschelt es und eine Spinnenaffenfamilie kreuzt unseren Weg. Wieder sind sie nicht glücklich mit uns. Einer schüttelt warnend an einem Ast, reisst ihn ab, droht uns damit und wirft ihn nach uns. Wie wild turnt er umher und pinkelt zu uns herunter.
Diesmal lasse ich mich nicht mehr so beeindrucken. Ich schaue dem Theater belustigt zu und schiesse ein paar Fotos. Wir verfolgen sie noch eine Weile, bevor es Zeit für den Sonnenuntergang wird.
Es beginnt abermals zu regnen, hört wieder auf, nur um gleich wieder von Neuem anzufangen. Richtiger Regenwald eben. Trotzdem steigen wir den Tigre hoch. Ausser Atem kommen wir oben an. Ehrfurcht erfüllt mich. Wir sitzen auf einem Steingebilde über dem Dach des Dschungels, am gelben Horizont hängen graue Regenfäden, während die Sonne langsam durch die Wolkenfetzen sinkt, uns rot beleuchtend.
Vierter Tag
Wieder hat es geregnet in der Nacht. Dass zu dieser Jahreszeit so viel Wasser vom Himmel fällt, sei nicht üblich. Alles ist dreckig und durchnässt. Gestern haben wir uns entschieden, statt die Runde über die Tempel von Nakbé zu machen, uns hier länger Zeit zu nehmen und danach auf dem gleichen Weg nach Carmelita zurückzukehren. Somit wissen wir, was uns heute erwartet. Auch jetzt brauchen wir eine Stunde länger, um aufzubrechen. Wenn man mit einer Gruppe unterwegs ist, kann man sich gut in Geduld üben.
Die fünf Stunden zurück nach Tintal vergehen schnell. Dennoch, es ist anstrengend, zu marschieren. Die Beine sind müde und wollen nur noch ausgestreckt und hochgelegt werden. Während einer Rast sprechen alle von feinem Essen: Pizza, Lasagne, Büdnerfleisch mit Cantadou, Fondue und Pasta. Und alle freuen wir uns auf ein erfrischendes Bier.
Wir sind früh zurück in Tintal und schlagen nochmals unsere Zelte auf. Aaahh … Hat es je so gut getan, am Boden zu liegen, alle Glieder auszustrecken und ruhen zu lassen? Und da sind sie wieder und springen in den Bäumen herum. Die Affen. Entspannung und Unterhaltung. Fast wie zu Hause!
Fünfter und letzter Tag
Morgens um halb sechs sitzen wir ein weiteres Mal auf der Pyramide über den Baumwipfeln und lassen uns im Rot der aufgehenden Sonne baden. Dann gilt es, die letzten vier, fünf Stunden nach Carmelita zurückzulegen. Seraina und ich laufen zügig los, Dave und Mäsi sind schon auf und davon, Sophie, Diego und Pitu folgen.
Der Körper fühlt sich ausgelaugt aber gut an. Bald wird es heiss und schwül. Die Regenwolken haben sich seit gestern nicht mehr blicken lassen. Der Himmel leuchtet in perfektem Blau. Seraina stolpert und fällt hin. Es wird Zeit, dass wir ankommen. Zur Aufheiterung tollen sich ein paar Affen auf unserem Weg herum.
Fast „zu Hause“ begegnen wir Rudi und seinen Maultieren. Es geht ihm wieder gut und er führt bereits die nächste Gruppe in den Wald hinaus.
Gut kommen wir schon vor zwölf zurück und können uns hinlegen. Es ist empfindlich heiss geworden. Jetzt tun wir nichts mehr. Ein kaltes Bier trinken, scheint eine gute Idee zu sein. Und abends gibt es nach all den Müeslis endlich wieder etwas Warmes zu beissen. Tortillas, Bohnen und Rührei.
Nach einem Tag in Flores und einer 15-stündigen Reise kommen wir schliesslich glücklich und gesund zurück am Lago de Atitlán an. Zwei Wochen lang (oder kurz?) durften wir haufenweise Eindrücke und Erlebnisse einsaugen. Die farbigen Kleider und die lachenden Gesichter der Menschen, die atemberaubende Schönheit und Vielfältigkeit der Natur und das einfache doch so frohe Leben in Guatemala werden uns unvergesslich bleiben. Fest steht, dass wir nicht das letzte Mal in diesem bezaubernden Land gewesen sind.
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