Reise nach Kolumbien
Südamerika-Tour 2013-2015 – Teil I
Medellín - Aller Anfang ist schwer
Müde von der langen Anreise mit dem Bus zum Frankfurter Flughafen schlendern Seraina und ich noch eine Weile durch den ach so langweiligen Check-In Bereich. Wir haben Donnerstag, den 3. Oktober. Um halb 9 abends machen wir uns auf zur Gepäckkontrolle, um rechtzeitig zum Gate C9 zu gelangen.
Ein junger indisch aussehender Beamter beobachtet unsere Gepäckstücke auf dem Bildschirm, während ich durch den Körperscanner trete. Weswegen auch immer pfeift das Ding und ein grosser Blonder mit einem Handscanner versperrt mir den Weg. „Arme auseinander. Wohin wollen Sie?“, will er wissen. Ich gehorche und antworte: „Nach Kolumbien.“ „Sie sind hier falsch.“
Etwas irritiert und mit zur Seite gestreckten Armen will ich berichtigen: „Aber nach Panama…“ „Sie sind hier falsch“, fällt er mir schon fast wütend ins Wort. „Dann wieso…“, versuche ichs nochmal, doch wieder schneidet er mich sofort ab: „Wenn ich Ihnen sage, dass Sie hier falsch sind, dann sind Sie hier falsch. Ich erzähle Ihnen doch keinen Scheiss!“ Ich fühle, wie mein Blutdruck langsam steigt. Was soll man mit so einem Typen anfangen? Ihn ernst nehmen? Wohl nicht. Ihm eins reinhauen? Am liebsten schon. Seine Kameraden grinsen. Ich nehme einen letzten Anlauf: „Ich sage nur, dass auf der Boardkarte…“ „Wem glauben Sie eigentlich mehr? Die Karte ist falsch. Schauen Sie auf der Fluganzeige nach.“
Ich gebe auf. Mit soviel arroganter Beschränktheit komme ich nicht klar. Wir werden zum Schalter C6 geschickt, wo wir auf die anderen Condor-Passagiere treffen (die alle vorhin bei C9 angestanden sind). Niemand weiss Bescheid bis wir selber nachfragen. Technische Probleme des Flugzeugs haben den Abflug vor dem Nachtflugverbot verhindert.
Somit gönnt Condor allen Passagieren ein Abendessen und eine Nacht im Sheraton Flughafen-Hotel.
Nächster Tag
Ausgeruht starten wir am nächsten Morgen um 7 Uhr. Der Flug über die Domenikanische Republik und Panama nach Medellin in Kolumbien zieht sich hin. Wir sitzen und warten. Schlafen ein wenig. Landen. Starten wieder.
In Panama steigen wir um. Wir sind wieder an der genau gleichen Stelle, wo wir 2012 unsere letzte gemeinsame Reise unterbrochen haben.
Später in Kolumbien müssen wir feststellen, dass unsere beiden Rucksäcke in Panama liegen geblieben sind.
Am nächsten Tag steht unser Gepäck nicht wie von der Fluggesellschaft versprochen an der Rezeption unseres Hotels. Nichts zu machen. Wir müssen uns gedulden und wandern mit stinkenden, am Körper klebenden Kleidern durch Medellin.
Durch das Viertel El Poblado
Hier wurde Medellin 1675 von den Spaniern gegründet. Seit jener Zeit hat sich viel getan. Die Stadt ist zu einer drei Millionen Metropole angewachsen und seit Pablo Escobars Tod vor zwanzig Jahren sank die Mordrate drastisch.
Die Wärme und Luftfeuchtigkeit beweisen, dass in diesem Tal, wäre hier niemals eine Stadt errichtet worden, dichtester Dschungel herrschen würde. Doch auch jetzt noch spendet sattes Grün erfrischenden Schatten in den von Bars und Hostels überquellenden Strassen des Poblados. Die vielen Fast-Food-Restaurants machen den amerikanischen Einfluss offensichtlich.
Um etwas aus den Abgasen und dem Lärm des Motorenverkehrs zu kommen, fahren wir mit der modernen Metro zum Botanischen Garten. Nicht nur wir, Familien und ganze Schulklassen benutzen diese grüne Oase, um sich eine Auszeit der restlichen Millionen zu gönnen.
Im Paradies von Río Claro
Nach ein paar Telefonaten kommt am Abend mein und am Sonntag Morgen schliesslich auch Serainas Rucksack bei uns an. Wir beschliessen, nicht länger in der Stadt zu verweilen und fahren am nächsten Tag ins zwischen Bogotá und Medellin liegende Reserva del Cañón de Río Claro.
Wir finden ein kleines Paradies vor, das wir fast für uns allein haben. Nachdem wir das Zelt an einer idealen Stelle aufgestellt haben, wandern wir den Flusslauf hinauf. Reservas sind private Naturgelände im Gegensatz zu den staatlichen Nationalparks. Von beiden gibt es nicht wenige in Kolumbien.
Die Wege und Cabaña-Anlagen wirken gepflegt. Es werden Aktivitäten wie River Rafting, Höhlen- und Canopy-Tours angeboten. Wir sind froh, nicht an einem Wochenende hier angekommen zu sein, wenn alle Städtler herströmen.
Heute treffen wir nur auf wenige Leute, die am sich durch den Regenwald schlängelnden Rio Claro fischen und spazieren. Auf dem Weg untersuchen wir Stalaktiten und Stalakmiten, in denen sich grosse Spinnen komforttable Netze gebaut haben. Auf der anderen Flussseite sehen wir eine Höhle, aus der ein Wasserfall herausschiesst. Die will ich mir näher anschauen.
Mit Licht und Kamera in Plastikbeuteln verpackt schwimme ich hinüber. Ich klettere die am Höhleneingang angebrachte Strickleiter hinauf. Zu spät merke ich, dass sie nicht richtig hält. Mit Plastikbeutel im Mund und mich an die Stricke klammernd knalle ich an den Fels. Irgendwie schaffe ich es mit offenem Knie den Wasserfall hoch und in die Höhle hinein. Unschlüssig stehe ich in einem kleinen Pool und blicke in die Dunkelheit, hinter mir rauscht das Wasser in den Fluss.
Ich wate ein wenig weiter, leuchte mit meinem unzureichenden Lämpchen um die Ecke und sehe noch gleichviel wie zuvor. Das Wasser kommt von oben herab, es muss Stufen geben, die man hochklettern kann. Aber in dieser Dunkelheit? Ich blitze mit meiner Kamera in den schwarzen Schlund hinein. Glitschige Wände leuchten auf. Ich komme mir vor, wie im Innern eines Wurms.
Plötzlich Gekrächze. Etwas Grosses, Schwarzes schiesst von der Decke herab und verschwindet im Rachen der Höhle.
Das Gekreische wird mehrstimmig und immer lauter. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, will ich meine Nerven beschwichtigen, aber diese Fledermäuse klingen verärgert. Eiligst mache ich kehrt, stürze die Strickleiter hinab in den Fluss, wo die ungemein starke Strömung mich zum Untergang zwingen will, klettere die letzten Meter aus dem Wasser in Sicherheit. Und lache über mich selber: Du hast zu viele Filme gesehen! Keine Fledermaus will dich auffressen! Gut, diese Höhlenexpedition ist wohl ins Wasser gefallen.
Auf dem Rückweg zum Zeltplatz folgen wir einem fast unerkennbaren Schild mit der Aufschrift: „Hospedaje y Servicio de Restaurant“ , und quer darüber: „Camping“. Wir steigen eine gefährlich steile Treppe empor und entdecken hinter verwachsenen Bäumen eine einfache Hütte. Ein Waran schiesst an uns vorbei ins hohe Gras aus unserem Blickfeld. Dann steht Martín in der Tür und lacht uns zu: „Buenos Dias! Soy Martín, a la orden!“ Wie soll ich ihn beschreiben? Ein fünfzigjähriger Afro-Kolumbianer in ausgetragener, kurzer Kleidung und wenigen Haaren auf dem Kopf. Er könnte ein Fischer aus der Karibik sein.
Stattdessen heisst er uns willkommen in seinem bescheidenen Heim mitten im Dschungel und kocht uns ein köstliches Mahl. Wir plaudern ein wenig und versprechen, wieder zu kommen. „Simón! Mucho gusto. Ciao mamita linda!“, verabschiedet er uns gut gelaunt. Mit meinem Namen hat hier niemand Mühe, ist es ja eine ausdrucksstarke Bejahung. Seraina hingegen kann sich kaum jemand merken. Auch Martín muss sich den Namen zuerst aufschreiben – dann lässt er ihn sich genüsslich auf der Zunge zergehen. Satt und glücklich kehren wir zum Zeltplatz zurück.
Ruhe und Regen
Die darauffolgenden Tage gestalten sich ruhig. Wir kochen am Feuer, lesen, stricken, spielen Didgeridoo, beobachten kleine flinke Affen, gehen spazieren. Zwischendurch müssen wir das Zelt und unsere Sachen zum Trocknen auslegen. Jede Nacht regnet es. Manchmal sind es nur ein paar Regentropfen, in ein oder zwei Nächten aber ziehen Gewitter vorbei, die es in sich haben. Blitze schlagen ganz in der Nähe ein, ein Ast verfehlt unser Zelt nur knapp. Am nächsten Morgen scheint die Sonne wieder, als wäre nichts geschehen. Nur dem Fluss sieht man an, was alles runtergekommen ist. Río Claro ist nunmehr ein reissender brauner Strom.
Immer weiter zögern wir unsere Abreise hinaus. Dann kommt aber das Wochenende und mit ihm die Menschenmassen. Was wir nicht wussten: Diese Woche ging das Schuljahr zu Ende und ganz Kolumbien feiert ein verlängertes Wochenende. Zuerst haben wir das Gefühl, dass wirs schon durchstehen würden. Dann aber sehen wir unser Zelt umringt von feiernden kolumbianischen Familien und Studenten.
Unser kleines stilles Paradies – in Trümmern. Der früh am Abend einsetzende Regen bestätigt uns.
Flucht nach Bogotá
Am Sonntagmorgen flüchten wir. Raus aus dem Regenwald, rein in den nächsten Bus nach Bogotá, die Hauptstadt mit acht Millionen Einwohnern. Vom Tal des Río Claro auf etwa 500m.ü.M. steigt die Strasse bis auf 2600m.ü.M. an. Nach mehr als acht Stunden Busfahrt (statt den fünf, die vorausgesagt wurden) sind wir froh, endlich am Ziel zu sein.
Ganze acht Jahre sind vergangen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Mauricio war damals für ein halbes Jahr als Praktikant in der Schweiz, als wir uns kennenlernten.
Wir klingeln an seiner Wohnungstür in einem der vielen Apartmentblocks im Quartier das – wie könnte es anders sein – „Bella Suiza“ heisst. Mauricio empfängt uns mit einer dicken Umarmung und stellt uns sein Frau Vivi und ihren Hund Mara vor. Eine halbe Ewigkeit haben wir uns nicht mehr gesprochen, wir haben vieles nachzuholen. Natürlich kommen alte Geschichten der gemeinsamen Zeit von Buchs bis Pontresina nicht zu kurz.
In den kommenden zwei Wochen lernen wir Mauricios und Vivis Freunde und Familie kennen. Wie auch Bogotá. Die gewaltige Stadt hat vieles zu bieten. Grosse Parkanlagen, Museen, Universitäten, Menschen, Verkehr.
Vivi nimmt uns ins Nationalmuseum mit, wo sie arbeitet und wir mehr über Geschichte und Kultur Kolumbiens erfahren. Im Smaragdmuseum lernen wir einen wunderbaren, sündhaft teuren Edelstein besser kennen. Im Goldmuseum… Waren wir nocht nicht.
Vor allem aber fasziniert mich, wie in dieser Stadt verteufelt arm und unerhört reich so nah nebeneinander existieren können. Die Lücke zwischen beiden scheint mir enorm. Dennoch sieht man öfters einen der in Scharen durch die Strassen eilenden Businessmen in Krawatte und Anzug einem Bettler ohne Beine oder jonglierenden und feuerspuckenden Strassenkünstler etwas zustecken.
Die Regierung versucht ebenfalls ihren Teil zum Abbau der zwischenmenschlichen Brücke beizusteuern, indem sie zum Beispiel mittellosen Menschen Strassenkioske ausleiht statt zu vermieten und auf diese Weise offizielle Arbeitsstellen schafft. Oder sie fordert von jenen Bewohnern der reicheren Vierteln höhere Mieten – das heisst, die Wohnungen sind teurer als sie wert sind – um die ärmere Bevölkerungsschicht zu entlasten. Trotzdem ist das Land von sozialer Gerechtigkeit, geschweige denn Stabiliät, noch meilenweit entfernt.
Stadt und Land
Während Mauricio und Vivi arbeiten, flanieren wir gerne mit Mara, ihrem Hund, im Park, wo ich mich sofort nach Australien versetzt fühle, sobald eine luftige Brise von einem der Eukalyptusbäume zu uns herüberschwebt.
Marita hatte sich schnell an uns gewöhnt und freut sich jedesmal wie ein kleines Kind, wenn es vor die Tür geht. Wir ergänzen uns prächtig. Wir nehmen sie auf unsere Spaziergänge mit und sie führt uns durch ihr Stadtviertel.
Nach einem belebenden Samstagmorgen-Yoga freuen Seraina und ich uns, die stickige Stadt immerhin für ein Wochenende zu verlassen. Freunde von Mauricio besitzen eine Finca (Farm) eine Fahrtstunde von Bogotá entfernt. Dort angekommen können wir uns den Lärm und den Smog der Grossstadt kaum noch vorstellen.
Was für eine Wonne, in der frischen Höhenluft durch den Wald zu wandern, im kleinen „Chalet“ mit einer heissen Schokolade am Kamin zu sitzen und die Zeit mit Spielen und Essen zu verbringen.
Wir werden bald weiterziehen. Mauricio und Vivi statten uns mit wertvollen Tipps und Beziehungen für die Reise Richtung Norden zur Küste aus. Die beiden machen uns richtiggehend gierig nach mehr Kolumbien.
Wie der neue Slogan des Landes schon wirbt:
Das einzig Gefährliche an Kolumbien ist, dass man bleiben will.