
Rückkehr nach Mexiko März – Aug 11
Auf grosser Reise 2010-2012 – Teil V
Von Familienfesten und Schmuckherstellung
Mitte März sind wir zurück in Mexiko angekommen. Vor mehr als zwei Monaten. Eine lange Zeit, in der viel passiert ist. Aber was gibt es zu erzählen? Mal sehen…
Am Sonntagmorgen treffen wir in der 20-Millionen-Metropole Mexiko-Stadt ein. Klingt schlimmer, als es ist. Wir finden den Weg zum Zocalo, der Hauptplatz mexikanischer Städte, schnell. Während wir auf Marcos, unsere Artesano-Bekannschaft aus San Cristóbal, warten, betrachten wir die vielen Banner, Flaggen und Stände. Hier dürfen die Menschen, die ihre Hauptstadt einfach Mexico oder D.F. (Distrito Federal) nennen, lauthals ihren Unmut gegen ihre Regierung und ihren Präsidenten ausdrücken. Oft versammeln sich hier Abertausende, die den Platz und die umliegenden Strassen und Gassen ausfüllen.
Heute Morgen ist es ruhig. Als Marcos kommt, findet er uns schnell. Mit U-Bahn und Mikrobus fahren wir erst mal zu ihm nach Hause, was uns eine gute Stunde kostet. Er lebt zusammen mit seiner Mutter, Schwester und Neffen in einem kleinen Haus in der Vorstadt. Nicht zum ersten Mal fallen mir die vielen VW Käfer auf der Strasse auf. Hier scheinen sie aber Hauptverkehrsmittel zu sein. Meine innere Erregung fällt Seraina sofort auf: „Vielleicht fährst du bald selber einen.“ Ja, das wäre schon was!
Später fahren wir zusammen mit Marcos und dessen Freundin, Aline, hinaus nach Xalpa (sprich Chalpa). „Nicht weit“, meinen die beiden. Nach zwei Stunden in Zug und Kleinbus treffen wir in Alines zu Hause ein, wo wir ihren Bruder und ihren Grossvater kennenlernen; mit beiden lebt sie in einem zweistöckigen Haus. Es geht nicht lange, da dürfen wir auch Bekanntschaft mit Alines Mutter, Tanten, Onkeln, Cousinen und Cousins machen. Es wird ein Geburtstag gefeiert, wir als Ehrengäste mitten unter allen Familienmitgliedern im kleinen Haus. „So feiern wir Mexikaner!“ Sie sind stolz auf ihre Kultur. Das Essen ist vorzüglich. Pikant, süsslich, cremig, erfrischend. Wir langen mit Genuss zu. Dazu probieren wir Pulque, ein fermentiertes Getränk aus dem Maguey, einem Agavenkaktus, der etwas bitter nach Most schmeckt und leicht runtergeht. Lecker! Selbstverständlich darf der Tequila nicht fehlen, damit stösst die ganze Familie an.
Aber eigentlich sind wir hier, um von Marcos etwas zu lernen. Er zeigt uns, wie er aus Draht, Schnur, Pflanzensamen und Steinen Schmuck herstellt. Wir waren mit ihm bereits auf Shopping-Tour in der Stadt und haben uns neben dem Rohmaterial auch Werkzeug angeschafft. Mittlerweile üben wir fleissig, Halsketten und Armbänder zu knüpfen und Ohrringe aus Draht herzustellen. Mir macht es schnell Spass, als ich sehe, dass diese Arbeit gar nicht so schwer ist, wie sie zuerst schien und dass die Produkte gar nicht so unansehlich herauskommen.
Doch aller Anfang ist schwierig. Tagelang sitzen wir vor unserem Knüpfzeug und biegen mit Zangen Draht zurecht. Wir fluchen, wenn was nicht klappt und freuen uns, wenns doch besser herauskommt, als zunächst gedacht. Seraina fehlt es natürlich nicht an Kreativität und auch mir kommt ab und zu was Gescheites in den Sinn. Für die Umsetzung braucht es aber viel Geduld und Praxis.
Bald ist Ostern. Hier feiern sie die Semana Santa eine Woche lang. Dafür fahren wir mit Marcos nach Xilitla (sprich Chilitla) im Bundesstaat San Luis Potosí. Die von viel Grün umgebene Kleinstadt verspricht, eine willkommene Abwechslung vom Beton-Dschungel. „Viele mexikanische Touristen aus dem Norden, wo sie Geld haben, besuchen Xilitla alljährlich“, erklärt uns Marcos lächelnd, „da lohnt es sich viel zu arbeiten, um auch viel verkaufen zu können. Also los ihr zwei!“
Erlebnis Vochito
Simon träumt schon seit seiner Kindheit davon und ich hätte mir nie erträumt, eine solche Seifenkiste zu haben. Er heisst hier Vocho (auch Bocho geschrieben) und es handelt sich um einen VW Sedan oder im schweizerischen so schön: VW Chäfer.
Mexiko Stadt ist voll von ihnen. In allen Farben und Altersstadien sind sie anzutreffen. Manche hört man schon von Weitem und beim Näherkommen wundert man sich doch wirklich, wie eine solche Klapperkiste noch fahren kann. Andere scheinen neu und unverbraucht zu sein.
So stehen wir schon bald an einem Automarkt vor der Vocho-Auswahl. Um diese etwas zu vereinfachen, setzen wir uns die Kriterien fest: Nicht älter als Jahrgang 1980 und höchstens 15000 Pesos. So schrumpft die Auswahl auf ein paar wenige Exemplare. Von einem knallorangen werden wir immer wieder angezogen. Es handelt sich um einen 1975er-, 16000 Pesos -Vocho. Kriterien? Welche Kriterien? Nehmen wir ihn doch einfach. Doch als wir an den Automaten das Geld für die Bezahlung holen wollen, streiken sie. Alle drei wollen uns den Kauf verhindern. Ein Zeichen? Doch wir sind selbst die Problemverursacher.
Simons Karte ist abgelaufen und mit meiner funktionierts plötzlich wunderbar.
Der Vocho (übrigens mit fetter Soundanlage – die mir wegen des viel zu starken Basses schnell auf die Nerven geht) ist gekauft und wir fahren los – oder versuchen es auf jeden Fall. Der Verkäufer liess die Musik zu lang und zu laut laufen. Sie hat dem Käferchen alle Energie ausgesaugt. Erst nach vielem Anschieben klingt er wieder etwas besser. Und auch jetzt kommen wir nicht weit. Noch im Markt haben wir den ersten kleinen Unfall. Ein Rückwärtsfahrer hat wohl noch nichts von Rückspiegeln gehört. Halb so schlimm, der Vochito läuft noch.
Nur mein Gefühl von einem schlechten Kauf macht sich in der Magengegend immer stärker breit. Hab ich doch gerade hier gelernt, dass man Zeichen und Bauchgefühle ernst nehmen soll. Doch für diese ist es nun zu spät und ich wende meine Gedanken dem Positiven zu. Unser erstes Ziel ist das Zehn-Minuten entfernte Zuhause von Marcos. Bis wir ankommen, fahren wir noch in ein Mäuerchen, verlieren die Abdeckung einer Vorderlampe und müssen den Vocho auch nochmals anschieben. Ja, Vocho fahren ist ein Erlebnis!
„Wollt ihr den in die Schweiz nehmen?“, fragt uns Marcos, als wir auf dem Weg zu Alines Haus sind, wo wir uns einige Wochen einnisten dürfen. Interessante Frage, denke ich mir. Ich selbst wäre nicht mal auf einen solchen Gedanken gekommen. Möglich wäre es ja wahrscheinlich schon, aber lohnen würde es sich nie. Der Vocho hat nur, was halt wirklich notwendig ist. Licht, Anzeige von Benzin und Geschwindigkeit und natürlich den Zigarettenanzünder. Von den Anzeigen funktioniert mal die eine, mal die andere, mal keine.
Die Geschwindigkeit ist hier nicht so wichtig, da man gerne so schnell fährt, wie man will, doch zu wissen, wie viel Benzin noch vorhanden ist, wäre schon praktisch. Die Hupe geht auch nur zwischendurch, in solchen erfreuenden Momenten wird dann jedoch pausenlos draufgedrückt. Ein Rückspiegel fehlt und die Sicherheitsgurte sind noch ansatzweise da, gerade gut zum Schutz vor Busen. Als Blinklichter müssen die Warnblinker herhalten. Sonst fährt er ganz gut – jedenfalls, wenn der Motor etwas warm ist. Ansonsten braucht man fast drei Beine, denn das Gas muss immer gedrückt sein, damit der Motor nicht langsam abstellt. Schon das ist eine rechte Anstrengung. Will man jedoch nicht fahren, da man zum Beispiel gerade an einer Ampel steht, drückt man zusätzlich die Kupplung und eigentlich die Bremse. Doch wie gesagt fehlt das dritte Bein und die nicht mehr richtig funktionierende Handbremse muss reichen. Auch umweltfreundlich ist das Ganze ja nicht gerade. Wenn man dann weiter will, fährt man nicht einfach ruhig los, wenn man auf das Gaspedal drückt. Erst mit vollem draufdrücken, bewegt er sich ruckartig. Man wird durchgeschüttelt und kann nur hoffen, dass er sich bald etwas beruhigt. Ja … ich lasse das mit dem Fahren noch etwas bleiben. Simon macht das ganz gut. Autofahren in Mexiko ist schon etwas anders als bei uns und solche Autos normal für Marcos und andere hier. „Nein, das wollen wir uns nun wirklich nicht antun …“, antworte ich Marcos.
Nach vielen Besuchen bei verschiedenen Mechanikern läuft unser Vochito doch schon viel besser. Natürlich haben wir bereits viel mehr ausgegeben als geplant. Als Oswaldo, Alines Bruder, bei denen wir uns gerade befinden, gerade die Kupplung auswechselt, will er wissen, wie viel denn ein Schweizer Mechaniker so verdient. Ich gebe zu: „Ja, schon ungefähr 90 Franken pro Stunde, etwa 1000 Pesos also.“ „¡No digas! Was du nicht sagst!“ Er kann sich das nicht vorstellen. Hier bezahlen wir nicht mehr als zehn bis vielleicht 50 Pesos. Zum Glück auch, ansonsten müssten wir uns bereits einen Rückflug suchen. So aber dürfen wir hoffen, noch lange durch die überaus abwechslungsreichen Landschaften Mexikos furzen zu können.
Artesania in Xilitla
Durch trockene Ebenen, karge Hügel, über neblige Bergkuppen hinunter ins grüne Xilitla hat uns unser Vochito sicher gebracht. Ein paar Kilometer vor dem Städtchen schiesst plötzlich ein grosser Touristenbus um die Kurve. Viel zu schnell. Er streift den Lastwagen vor uns, der ihm den linken Rückspiegel abreisst. Ich sitze am Steuer unseres Käfers und sehe alles in Zeitlupe. Ich bremse leicht ab, weiche ein wenig nach rechts aus. Viel mehr geht nicht. Da geht es steil den Berg hinunter. Der Bus fliegt an uns vorbei. Der Chauffeur erwischt die Kurve gerade noch, kann aber nicht wieder ausgleichen und knallt ins Dickicht am Hang hinein. Ich, wie auch andere Autolenker, halte am Strassenrand an. Mein Herz pocht. Der Reisebus steht still neben der Strasse. Wäre er von der anderen Seite hergekommen, hätte er den Abhang nicht vermeiden können. Schon steigen die ersten Nicht- oder nur Leichtverletzten aus, weinend und unter Schock.
Ein paar Tage später steht in der Zeitung, dass der Bus wegen nasser Strasse und schlechter Sicht von der Strasse abkam. Dass er viel zu schnell war, wird aber nicht erwähnt. Was für eine Ankunft. Aber wir haben Glück gehabt. Als wir abends schon bei Dunkelheit doch noch ein halbwegs trockenes Zimmer finden und dem Regen entfliehen können, entspannen sich meine Nerven endlich.
Das Zimmer kostet zwar nur 100 Pesos pro Woche für uns beide, ist aber auch vollkommen leer. Macht nichts. Wir stellen kurzerhand unser Innenzelt auf, um vor Mücken geschützt zu sein. Kochen können wir auf dem Grill vor dem Zimmer. Und die Vermieterin bringt uns immer mal wieder Tamales, polentaartige gefüllte Maistaschen, vorbei. Wir haben alles, was wir brauchen.
Morgen beginnt die Semana Santa und wir haben viel zu tun. Marcos will uns vorher einen anderen Verkaufsort zeigen. Eine halbe Stunde entfernt liegt die Flussquelle von Huichihuayan, wo er viele potenzielle Kunden erwartet. Somit steht unser Tagesablauf für die nächsten Wochen fest.
Morgens fahren wir an die Flussquelle, stellen dort unseren Stand auf, kühlen uns immer wieder im Wasser ab, packen abends zusammen und fahren in die Stadt zurück, um da unsere Sachen auf der Strasse mit vielen anderen Artesanos anzubieten.
Die erste Woche läuft es ganz gut. Jeden Tag kommen viele Touristen nach Huichihuayan und Xilitla. Marcos macht guten Umsatz, wir verkaufen auch immer wieder was. Die ganze Zeit muss nachgearbeitet werden, denn was verkauft wird, muss auch ersetzt werden. Hier lernen wir, dass man über seine Produkte auch Bescheid wissen sollte. Marcos weiss viel zu erzählen über seine Steine, deren Herkunft und Wirkung und lässt seine Kundschaft oft erstaunen. Dafür haben wir eine andere Marktlücke entdeckt. Was, wenn Seraina und ich uns verkaufen würden? Es ist ja vorher schon vorgekommen, heute aber wird es fast lästig. „Entschuldigung, dürfen wir ein Foto mit euch machen?“ Ob ein Familienvater mit seinem Sohn, Teenagerinnen oder auch Leute in unserem Alter. Heute wollen sie alle ein Souvenir von uns, damit sie ihren Freunden zu Hause berichten können: „Uns hats super gefallen in Xilitla. Schau mal, da haben wir zwei waschechte Hippie-Gringos getroffen!“
In der zweiten Woche wird es ruhiger, die Geschäfte laufen nicht mehr ganz so gut. Trotzdem arbeiten wir tüchtig weiter. An den meisten Tagen ist es heiss. Sehr heiss. An einem Freitag stehen Teile der umliegenden Hügel in Flammen. Es werden 45 Grad Celsius gemessen. Im nahen Ciudad Valles übersteigt das Thermometer sogar die 50-Grad-Marke. Gut, haben wir Abkühlmöglichkeiten.
In der dritten Woche fahren wir nach Micos, wo wir uns Ferien gönnen. Wieder einmal finden wir einen wunderschönen Ort vor. Ein Fluss fliesst zwischen kleinen Hügeln hervor, fällt über mehrere Wasserfälle in türkisblaue Pools, die einen geradezu auffordern, sich in ihnen zu erfrischen. Wir geniessen die Ruhe nach den letzten hektischen Wochen.




Zurück in Xilitla sitzen wir am Wochenende wiederum auf der Strasse. Die meisten anderen Artesanos und Strassenverkäufern sind bereits abgereist. Die Show ist vorbei. Doch nochmals wartet eine Überraschung auf uns.
Es ist Samstagabend halb zehn, wir wollen bereits zusammenpacken, da nicht viel los ist. Ausser Marcos, Seraina und mir ist nur noch ein Verkäufer mit seiner Familie auf der Strasse. Ich weiss gar nicht mehr genau, wie es angefangen hat. Auf jeden Fall steht plötzlich ein Haufen junger Leute vor uns. „Hee schau, diese Ohrringe, die sind super!“ „Wie viel kostet diese Kette?“ „Ok, ich nehme gleich beides zusammen!“ Wir werden beinahe überrannt. „Hey Marcos, hast du noch zehn?“ „Nein, gar kein Wechselgeld mehr…“ Ich renne von Laden zu Laden, um Geld zu wechseln, während Seraina fleissig am Verkaufen ist. So schnell, wie sie gekommen sind, sind sie auch wieder weg. So stressig war es vorher noch nie, dafür haben sie uns auch den halben Stand leer gekauft. Marcos lächelt nur. Er kennt die Situation. „Gut, seid ihr noch nicht gleich gegangen, nicht?“ Während der ganzen Hektik haben wir herausgefunden, dass es sich um Touristen aus Mérida, Yucatán, handelt, die innerhalb von zehn Tagen halb Mexiko abreisen und heute einen Stopp in Xilitla machen.
Vor der Rückreise nach Xalpa muss el Vochito nochmals zum Mechaniker. Vor zwei Wochen blieb er mir mitten in der Kurve liegen und wollte keinen Wank mehr machen. Nur eine Sicherung musste ersetzt werden. Eine Woche später platzte ein Reifen und wir fanden heraus, dass der Ersatzreifen nicht passte. Und heute werden die Zündkerzenkabel ersetzt und der Motor neu eingestellt. Damit wir sorgenfrei nach Hause kommen.
Taxco bis Mazunte
“Die Vochos kommen wegen ihres Heckantriebs überall hoch. Deshalb wimmelt es von ihnen in den Strassen Taxcos.“ Sobald wir in Taxco einfahren, weiss ich genau, was Chino meinte. Die Stadt wurde wörtlich in den Hang gebaut, malerisch reihen sich die Steinhäuschen aneinander. In den steilen Strassen und engen Gässchen, an den unmöglichsten Stellen sind sie zu sehen. Die weissen Käfer-Taxis und ihre Brüder, die alten VW-Buse.
Wie üblich in Mexiko warten wir ein, zwei Stunden länger auf Chino als abgemacht. Als er kommt, umarmen wir uns. Wir haben ihn in San Pedro, Guatemala, zuletzt gesehen. Und das ist doch schon eine ganze Weile her. „Mi casa es su casa.“ Er lädt uns ein, solange wie wir wollen, in seinem Haus zu wohnen.
Chino arbeitet und handelt mit Bernstein aus Chiapas, der sehr wertvoll ist. Als wir seine Werkstatt sehen, staunen wir nicht schlecht. „Chino, das ist ja die reinste Schatzkammer, die du da hast!“ Schachtelweise stapelt sich der Ambar (span. Bernstein) im Roh- wie auch im verarbeiteten Zustand in dem Zimmer. „Die Leute wissen seinen Wert nicht zu schätzen“, erklärt Chino uns, „ich muss mich also nicht vor Dieben sorgen. Aber auf dem Verkaufstisch ist seine Nachfrage gewaltig.“
Nicht nur übers Ambar- und Silbergeschäft – Taxco ist eine ehemalige Silberminenstadt – weiss Chino Bescheid. Mit Freunden baut er ein Öko-Dorf in Taxcos umliegender Bergregion auf. Benutzt werden ausschliesslich natürliche Ressourcen. Lehmhäuser und -öfen, Trockenklo, Wasserquelle, Garten und zu verschiedenen Maschinen umgebaute Velos, deren Tretantrieb genutzt wird, sind geplant. „So werden wir unabhängig sein von jeglicher fremder Energie“, sagt er enthusiastisch. In Chino haben wir eine äusserst interessante Persönlichkeit kennengelernt.
Nach Taxco und Chino fahren wir nach Cuernavaca, wo uns Alejandro und seine Familie herzlich für ein paar Tage aufnehmen. Was seine Eltern für ein Haus haben! Gross, verwinkelt und ruhig. Luxuriös, fast wie bei Jean-Pierre in Montréal. Alex führt uns gerne in seiner Stadt und Umgebung umher. Hier zeigt Mexiko sein modernes Gesicht. Wären da nicht Cuernavacas viele Kolonialbauten, Kathedrale und der Palast des spanischen Invasors Cortés, könnten wir wegen der jungen Leute in den Strassen, der vielen Bars, Burger King und Starbucks in irgendeiner Stadt der Welt sein.
“Mir gefällt meine Stadt, hier habe ich meine ersten Gitarrenstunden genommen. Hier läuft kulturell was, nicht wie in Sion. In den zwei, drei Jahren, in denen ich in der Schweiz lebe, habe ich mich oft einsam gefühlt. Bald gehts aber ab nach Basel, da wirds reichlich Abwechslung geben.“ Alex freut sich. „Aber meine Familie ist mir wichtig, deshalb kehre ich jedes Jahr einen Monat zurück.“
Wieder zu Hause bei seinen Eltern lehren Seraina und ich Alejandros Mutter, wie man Zopf macht. Wir fühlen uns gerade sehr nach Hause versetzt; ein bisschen Heimweh können wir beide nicht leugnen.
Hilfsbereit zeigt uns Alex´ Mutter, wo wir neue Reifen für unser Auto kaufen können. Gleich zwei Plattfüsse innerhalb einer Woche mussten wir verbuchen. Vor unserer langen Reise an die Küste hinunter wollen wir sicher gehen, dass wir unterwegs nicht durch weitere geplatzte Reifen aufgehalten werden. Kurzum kaufen wir uns einen zweiten Ersatzpneu.

Der Vocho ist vollgestopft bis unters Dach. Wir verabschieden uns von Alex und seiner liebenswerten Familie und nehmen die acht-stündige Fahrt in Angriff. Durch ausgetrocknete Landschaften führt die Strecke Acapulco zu. Bald beginnt die Regensaison, der Boden kann sie gebrauchen. „Adrian“, der erste Wirbelsturm der Saison, ist bereits wieder im Pazifik verschwunden.
So erreichen wir Playa Ventura bei schönstem Wetter. Das Dorf ist fast leer, wir sind die einzigen Touristen. Unsere Gastgeberin lässt uns gratis am Strand unter der Palapa zelten, wenn wir dafür jeweils bei ihr zu Abend essen.
Täglich sitzen wir am Strand, knüpfen Hals- und Armbändchen, biegen Draht zu Ohrringen oder lesen einfach wieder einmal in der Hängematte. Hühner und Hunde streifen herum, des Nachbarn Schweine grunzen. Uns gefällt das friedliche Ambiente hier. Zu essen gibt es vor allem Fisch und Crevetten. Da läuft mir das Wasser im Mund zusammen.
“Das Meer ist wild. Das Wellenbad ist mit äusserster Vorsicht zu geniessen“, betont nicht nur der Reiseführer, sondern auch unsere Gastgeberin. Tatsächlich, die Unterströmung ist nicht zu verachten, das Wasser zieht mich mit unglaublicher Kraft ins Meer, bis die nächste grosse Welle mit voller Wucht über mich hereinkracht.
Plötzlich sehe ich etwas Schwarzes, Rundes, das wiederholt an den Strand gespült wird, dann wieder vom Wasser gepackt und zurück ins Meer gerissen wird. Es ist ziemlich gross. Flossen, Panzer … Eine Schildkröte! Aber sie scheint leblos zu sein. Ich entreisse sie dem Wasser und lasse sie in den Sand fallen. Bei meiner Untersuchung entdecke ich eine Verletzung am Hals, die auf einen tödlichen Angriff schliessen lässt. Ein Hai vielleicht? Ich denke, sie ist erst gerade gestorben, da sie noch ganz frisch und warm ist. Eindrückliche Tiere!
Schliesslich übergebe ich sie wieder dem Meer. Nur einige Dutzend Meter weiter den Strand entlang sehe ich eine kleine Traube von Menschen stehen. Beim Näherkommen erkenne ich, was sie beobachten und fotografieren. Eine andere Schildkröte, diesmal lebendig, gräbt sich ein Loch in den Sand. In den kommenden zwei oder drei Monaten werden diese Tiere Tausende von Eiern legen und zuscharren, in der Hoffnung, dass möglichst viel von ihrem Nachwuchs den Rückweg ins Meer schafft.
Es sieht mühselig aus, wie sich die schwere Schildkröte langsam tiefer gräbt. Damit sie ungestört legen kann, lasse ich sie in Ruhe und hoffe, die anderen werden dies auch tun.
Kurz darauf finde ich wieder etwas Totes am Strand. Ein Fisch mit einer Verletzung am Kopf, die von einer Harpune stammt. Der Fischer hat ihn nicht richtig getroffen. Er ist ihm entwischt, dann aber doch erlegen. Mein Glück! Ich hebe ihn auf und staune über sein Gewicht. Bestimmt ein Zehn-Kilo-Ding. Das gibt ein Festessen!
Wir haben Marcos und Aline in Xalpa mit der Idee verlassen, nach Mazunte an der Küste Oaxacas zu fahren. Nach einer Woche in Playa Ventura wollen wir diesem Ziel wieder etwas näher kommen. Der nächste Ort auf unserer Liste ist die Lagune von Chacaua. Sie liegt etwas abseits der Strecke und wir müssen ein 30 Kilometer langes, sandiges Waschbrett überwinden, um sie zu erreichen. Dem Vocho gefällt das unsanfte Rütteln nicht sonderlich.
Die Alternative wäre eine eineinhalb-stündige Bootsfahrt gewesen, die je nachdem viel zu teuer ist. Wir überstehen die Rumpelfahrt alle gut und werden, im Dorf Chacaua angekommen, ans andere Ufer der Lagune übergesetzt.
Dieses Gebiet ist ein Nationalpark und bekannt für seine reiche Flora und Fauna. In den Mangroven leben viele Vogelarten, Amphibien und Reptilien. Sogar Krokodile gibt es hier.
In derselben Nacht erfahren wir auf einem Ruderboottrip in die Dunkelheit des Mangrovendschungels, wofür die Leute noch hierhin kommen. Der Vollmond wird durch dichte Wolken verdeckt, ab und zu tröpfelt es. Es kommt noch einiges Licht vom Himmel, dennoch bekommen wir ein glitzerndes Spektakel zu Gesicht. Wir halten an einer besonders dunklen Stelle, überdacht von wildem Mangrovengewächs, und fassen mit den Händen ins Wasser, kreisen sie, schwadern herum. Um die Hände beginnt es zu leuchten. Es funkelt und blitzt, als hätte es hunderte Glühwürmchen in der Lagune. Doch es ist eine Planktonart, die ein phosphoreszierendes Licht abgeben, sobald man das Wasser in Bewegung versetzt.
Seraina überlegt nicht lange, die Krokodile seien ja harmlos, und hüpft ins dunkle Nass. Ich kann sie kaum erkennen. Nur weil es immer wieder aufleuchtet, weiss ich, wo sie sich befindet.
Nicht nur die Lagune zieht Touristen an, sondern auch die Wellen des Pazifiks. Aus der ganzen Welt treffen hier Surfer aufeinander. Deswegen hören wir hier viele englisch sprechen.
Aber die Surferszene ist nicht so unser Ding. Wir halten uns mehr unter den Einheimischen auf. Wieder sind unsere Gastgeber Besitzer eines Strandrestaurants, die uns erlauben, gratis unter ihrem Dach zu campen.
Hier stellen wir zum ersten Mal seit Xilitla unseren Stand auf. Viele Menschen hat es momentan nicht. Es ist Juni und somit Tiefsaison. Trotzdem werden wir ein paar unserer Sachen los und bekommen den einen oder anderen Auftrag. Dank einiger Mexikaner, Österreicher und Australier holen wir doch einen Teil unserer Ausgaben heraus.
Obwohl uns von Lionel, dem Restaurantbesitzer, versichert wird, dass dies der bestimmt schönste Fleck Erde auf der ganzen Welt sei und dass er wisse, wo wir Land erstehen könnten, reisen wir nach ein paar Tagen weiter. Auch das Wetter verschlechtert sich zunehmens. Zuweilen stürmt und regnet es heftig.
Auf dem Rückweg über die Sandpiste müssen wir bereits grosse Pfützen und Schlammlöcher durchqueren. Ohne Probleme. Unser Käfer hat sich seit Längerem nicht mehr gemeldet (immerhin mehr als zwei Wochen), aber gerade jetzt, wo sich ein Wasserfall über die Strassen ergisst, geben die Scheibenwischer den Geist auf. Auch mit ihnen war es schwierig, das Auto auf der Strasse zu halten. Das ist jetzt fast unmöglich. Wir halten an und warten. Bald finden wir heraus, dass nur eine Mutter locker ist.
Das ist der Beginn der Regensaison. Bereits tritt Wasser ins Auto ein und als wir nach ein paar Stunden in Mazunte eintreffen, sind wir gut durchnässt. Für uns ist der Fall klar. Hier zelten wir nicht mehr. In Chacaua wurde uns Don Tocho empfohlen. Er ist schnell aufzufinden, Mazunte ist klein. Das Zimmer, das er uns anbietet, gefällt uns sogleich. Wir entschliessen uns, uns hier für einen Monat einzunisten. Obwohl es wegen der Hunde und Don Tochos Frau, die sie lauthals zu vertreiben pflegt, nicht gerade still ist, finden wir die Familie wie auch das Dorf sympathisch. Man sieht gleich, dass seit einigen Jahren auf den Rucksack- und Aussteigertourismus gesetzt wird. Wie in San Pedro am Lago de Atitlan gibt es hier viele Restaurants, Bars und Yogazentren. Statt See und Vulkane bestimmen hier das Meer und üppiges Grün das Landschaftsbild.
Was wir suchen, ist, Raum, wo wir ungestört arbeiten, und Zeit, in der wir an einem Ort verweilen können. Beides haben wir hier gefunden.
An gewissen Tagen sitzen wir an der Strandpromenade hinter unserem Tisch, den wir mit Chinos Hilfe zusammengezimmert haben, und präsentieren darauf unser wachsendes Schmuckangebot. Eine handvoll anderer Artesanos haben ihrerseits ihre Stände aufgebaut. Sie bieten vor allem Knüpfereien an. Beim Betrachten ihres Schmucks merken wir schnell, dass wir noch viel zu lernen und zu üben haben.
Dennoch scheinen sie nicht mehr zu verkaufen als wir. Die wenigen Spaziergänger, die unsere Stände streifen, interessieren sich nicht sonderlich für unsere Sachen. So bleibt es den ganzen Tag ziemlich ruhig.
Oft bleiben wir zu Hause und begnügen uns mit unserer Heimarbeit. Die Sommerferien stehen vor der Tür. Es heisst, das Dorf fülle sich dann bis zum Rand. Das würde die geschäftige Zeit des Verkaufs werden.
Auf der Rückfahrt eines Ausflugs nach Pochutla fängt es unter dem Steuerrad plötzlich zu rauchen an. Der Motor stockt und stellt ab. Am Strassenrand öffnen wir vorne den Kofferraum, wo es im Kabelsalat zischt und funkt. Ein altes Kabel hat einen Kurzschluss verursacht und ist total verschmürzelt. „Hmm, und was jetzt?“ fragt Seraina. „Schau mal, das da drüben auf der anderen Seite der Strasse sieht wie eine Werkstatt aus. Da stehen sogar zwei Vochos“, stelle ich fest. „Auch wenn diese Käfer immer wieder ihre Macken haben, scheinen sie zu wissen, wo sie sie haben sollen.“
Nun, ganz stimmt es diesmal nicht. Der Mechaniker ersetzt uns zwar das Kabel, anspringen will das Auto aber nicht. Deshalb ruft er uns den Elektroniker aus der Stadt, der uns nach langem Warten ein Teilchen ersetzt und uns mit einer dicken Rechnung entlässt.
„Ja, da müssen wir schon Hochsaison vor unserem Verkaufsstand haben, um dieses Geld an einem Tag rauszuholen“, denke ich laut. „Egal“, meint Seraina, „wenn das Auto soviel Geld verbraucht, dürfen wir uns auch mal wieder was gönnen. Heute Abend gibt es Pizza!“
Es wäre langsam an der Zeit, etwas mehr zu verkaufen. Wie im Flug vergeht die Zeit. Bereits einen Monat befinden wir uns in Mazunte. Eine Woche lang unternahmen wir eine Fast-Kur: Tee am Mittag, Ananas-Saft am Abend. In jener Woche hatten wir viel Zeit, zu knüpfen und zu arbeiten. Ausserdem haben wir Teile unseres Käfers neu gestrichen, da die Stossstangen, Felgen und anderes wegen der Meeresluft zu rosten begannen. Ein weiteres Mal waren wir beim Mechaniker, um die Bremsen und den Motor neu einzustellen. Alle drei sind wir also frisch gereinigt.
Was jetzt noch fehlt, ist das schöne Wetter, das die Leute auf die Strassen zieht und an unseren Ständen vorbei. Zum ersten Mal seit unserer Ankunft regnet es in Strömen; und dies nur einmal heute, wie es den Anschein hat. Nicht, dass es zum ersten Mal überhaupt regnet, wir haben schliesslich temporada de las lluvias, Regensaison, nur hat sich das himmlische Nass bisher darauf beschränkt, höchstens abends und in der Nacht zu fallen. Heute aber dürfen wir einen typisch schweizerischen Sommertag geniessen. Grau, kühl und pflotschnass.
Seraina und ich haben langsam aber sicher genug von Mazunte. Nach sechs Wochen hier und den Versprechungen, dass die Touristen bald kämen, ist es noch immer ruhig. Schön um Urlaub zu machen, aber zu ruhig um wirklich viel zu verkaufen, obwohl das Wetter sich verbessert hat.
Schlafen können wir seit längerem nicht mehr so gut. Neben dem Lärm, der die Hunde, Katzen und Gückel jede Nacht machen, beissen die Mückenstiche und die schwüle Hitze lässt uns im eigenen Schweiss baden. Trotzdem haben wir noch nicht ganz aufgegeben. Unter den anderen Artesanos haben wir schon viele Freunde gefunden. Es sind nur wenige Mexikaner, viele aus Argentinien, Italien und ein paar aus den Staaten. Mit ihnen verbringen wir eine schöne, zu weilen sehr lustige Zeit. Viele unter ihnen, wissen zu jonglieren und verdienen ihr Geld mit Zirkus- und Clownvorstellungen. So hat zum Beispiel die acht Monate alte Zoé, zwei Clowns als Eltern. Eine zuckersüsse Familie.
Nun, da die Sommerferien schon bald vorbei sind, fahren wir auch bald weiter. Weiter Richtung Norden, weg vom Regen, weg von der betäubenden Hitze, weg vom Meer.
Von Mazunte zurück nach D.F.
Wir fuhren los Richtung Oaxaca Stadt, unterbrachen unsere Reise jedoch in den kühlen Bergen, die den Pazifik vom heissen Innern des Staates Oaxaca abschnitten.
Von befreundeten Artesanos in Mazunte erfuhren wir von der ersten Feria de los Hongos im kleinen, einem schweizerischen Bergdorf nicht unähnlichen Örtchen San Mateo.
Ein paar Tage lang kühlten wir in den höheren Lagen ab, bis wir wieder bereit für die Hitze von Oaxaca waren.
Dort besuchten wir neue Freunde, liessen ab und zu unseren Bocho flicken, degustierten die verschiedensten Geschmacksrichtungen des hiesigen Mezcals und machten grosse Augen ab einer gewaltigen Zypresse.
Später schlossen wir den Kreis und fuhren zurück nach D.F., genauer gesagt nach Xalpa am Rande des riesigen Molochs Mexico-City.
Dort planten wir, unseren Bocho bei Oswaldo unterzubringen, während wir für ein paar Monate zurück in die Staaten reisen würden.
Lies die Geschichte weiter, von Las Vegas bis Chiapas, im Kapitel:
Auf grosser Reise 2010-2012 – Teil 6


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