
Side-Trip USA
Südamerika-Tour 2013-2015 – Teil VII
Amerika
Wir haben genug. Die Schnauze voll. Die Latinos satt. Wir brauchen eine Auszeit – wir gehen nach Amerika!
Nein, so schlimm ist es also nicht, aber einen Abstecher in die Staaten machen wir trotzdem. Da wir Las Vegas kennen, fliegen wir nach Vegas, kaufen uns – wie schon mal – ein Auto und fahren damit nach Kalifornien.
Sequoia Nationalpark is amazing! Die uralten, dicken Bäume lassen uns zu Zwergen schrumpfen. Kaum vorstellbar, wenn man nicht direkt unter ihnen steht!
Jetzt – nachdem wir uns nach knappen zwei Wochen ans amerikanische Leben gewöhnt haben, freuen wir uns schon wieder auf die lateinamerikanischen Länder.

Aber diese Vorfreude darf sich gerne noch eine Weile hinziehen. Vorerst cruisen wir mit unserem Ford Escort durch Kalifornien – immer mit einem Auge auf der Meilenanzeige. Denn alle 150 Meilen müssen wir wieder für zwanzig Dollar tanken gehen. Mehr geht nicht, da der Tank, würden wir ihn mehr als zu einem Viertel füllen, leckt. Irgendwoher kommt uns dieses Problem mit dem Tank bekannt vor… Herausgefunden haben wir es noch am selben Tag des Autokaufs.

Tank ersetzen? Ja, wenn wir mal einem Occasionstank für einen 1993 Ford Escort über den Weg laufen. Vorerst soll ein Fünf-Gallonen-Kanister als Reserve ausreichen.















Von Redwoods und Hot Springs
Vor vier Jahren haben wir ihn das erste Mal hier im Anderson Valley besucht. Heute lebt Geoff noch immer – oder besser: wieder – hier. Und zwar in einem heimeligen, kleinen Kabinchen unter dicken Redwood-Bäumen. Ständig seine Gitarrenspielkünste verbessernd, lernt er mittlerweile bei einem Meister mit erstaunlichen 50 Jahren Erfahrung, Gitarren und Saiteninstrumente herzustellen. Eine komplizierte Arbeit, die viel Geduld und Fingerspitzengefühl erfordert.

Mit uns zieht Geoff durch die nähere Umgebung. Wir lernen neue Leute kennen und besuchen einige der unzähligen Naturwunder in der Gegend.


An meinem Geburtstag hat sich Geoff etwas Besonderes ausgedacht. Wir wandern fünf Stunden lang den Garcia River hoch, den wir viele Mal überqueren müssen. Oft ist die Umgebung nahe des Pazifiks in dichte Nebelschwaden gehüllt. Heute aber erfreut uns ein dunkelblauer Himmel. Die Sonne steht im Herbst jedoch schon ziemlich steil am Himmel und versteckt sich gerne hinter den hohen Bäumen.

Macht nichts, denn kalt wird uns an unserem Ziel bestimmt nicht, obwohl die Nächte deutlich frischer werden. Wir befinden uns an einem magischen Ort. Vor hundert Jahren wurde hier ein Resort betrieben. Kaum zu glauben, so unzugänglich, wie das Gelände ist.

Das Resort ist heute längst vergessen. Die Hot Springs sind jedoch zu unserem Vergnügen geblieben. Keine Menschenseele ist heute Abend hier. Wir haben sie ganz für uns. Von der kühlen Luft und dem kalten Wasser des Garcia Rivers erfrischt, tauche ich – mich langsam an die drastische Temperaturveränderung gewöhnend – in einen der natürlichen, mit dampfendem Wasser gefüllten Pools. Aaaaahhh – wahrlich eine Wohltat! In diesem Moment sind alle Probleme der Welt vergessen. Nur eine Sorge habe ich: Hier drin besser nicht einschlafen!

Gedankenspiralen
Wenig später weckt mich Geoff aus meiner Gedankenspirale. Wir unterhalten uns über gute alte Zeiten, als wir uns vor acht Jahren in Neuseeland kennenlernten, über die Reise mit Freunden im Auto durch Europa bis nach Marokko, die gemeinsame Zeit in Berlin, London und Irland, den See um die Insel Ometepe in Nicaragua.

Ich bin seit fast zehn Jahren unterwegs – mit zahlreichen Zwischenstopps zu Hause in der Schweiz – manchmal nicht ganz schlüssig darüber, wonach ich suche, ob ich nur nichts Besseres zu tun habe, wohin diese Reiserei eigentlich führen soll.

Anfangs war es vor allem der Spass am Reisen, Neues und Unbekannte kennenlernen und endlich einfach machen und lassen zu können, was ich will, das mich zu diesem Lebensstil anspornte.

Jetzt, einunddreissig Jahre alt, wo so viele Leben an einem Scheidepunkt anlangen, klopfe ich mir selber auf die Schultern. Ich bin froh, habe ich diesen Weg von all den möglichen gewählt. Auch heute macht mir Reisen noch Spass. Es steht vielleicht nicht mehr so im Vordergrund wie früher. Reisen kann anstrengend und ermüdend sein, immer wieder neue Länder bereisen, ist irgendwann auch nicht mehr so neu, und mehr und mehr fallen mir die Ähnlichkeiten der Menschen und Völker auf unserem kleinen Planeten auf.




Dennoch: Meine Reise – mein Leben – ist noch lange nicht zu Ende. Ich weiss, ich befinde mich noch immer auf einer Suche. Aber auch diese ist nicht mehr so wichtig. Das Wissen und besonders das Akzeptieren können, das alles zu seiner Zeit geschieht, hilft mir, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Mich in meinem Leben wohl zu fühlen, den Menschen in meinem Umfeld dieses Wohlsein weiterzugeben, zu helfen, zu lernen und zu lehren.

Klingt bald wie esoterischer Kitsch aus dem Selbst-Hilfe-Ecken einer Bücherei. Doch ich glaube, würden mehr Menschen diese Gedanken leben, wären wir alle glücklicher.

Nach einer langen Weile öffne ich die Augen wieder, sehe wie Seraina in ihrem heissen Pool träumt und sich Geoff mit einem lautstarken „Wuhuhuhu!“ im Fluss abkühlt, und ich lächle. Alles ist gut. Könnte ich diesen Moment doch nur mit mehr Leuten teilen! Aber nein, doch lieber nicht, dann wäre es hier zu voll. Zu dritt – perfekt!
Alles ist genauso, wie es sein soll.

Leben im Anderson Valley
Die allermeiste unserer Zeit in Kalifornien verbrachten wir im Anderson Valley. Um es kurz zu umschreiben: Die Welt könnte untergehen, im Anderson Valley würde es niemand merken.

Nur durchs Radio vernimmt man täglich vom strauchelnden Obama und seinen Politikern von der Aussenwelt. „War on Isis, war on Ebola… war on the entire world. Weisst du, deswegen liebe ich es, hier draussen zu leben. Hier lassen sie dich in Ruhe und du kannst dich um die Dinge sorgen, die dir wichtig sind“, erklärt mir Geoff.

Die Menschen hier im Tal, das von einer Bergkette, einer sogenannten „Ridge“, vom pazifischen Ozean getrennt wird, weshalb hier ein ganz eigenes, meist trockenes Klima herrscht, kennen sich untereinander fast alle, entweder persönlich oder um ein paar Ecken und Kanten. Wie eine einzige grosse Familie lebt man hier zusammen, eine Kommune, die sich um seine Mitmenschen kümmert. Wir erleben hier Geschichten, die uns an wahre – wie heisst das Wort nochmal? – Nächstenliebe glauben lassen.

Einer unserer guten Freunde, dessen Familie schon seit Generationen im Tal lebt, hatte letzten Frühling einen bösen Arbeitsunfall, bei dem er sich einen komplizierten Kiefer- und Schädelbruch zuzog. Operationen sind besonders in den Staaten eine kaum bezahlbare Angelegenheit. Und wir alle wissen über den Zustand der Gesundheitsvorsorge in den USA Bescheid – „Health-Care“ ist hier ein ziemlich luftiger Begriff.

Deshalb startete seine Freundin übers Lokalradio eine Spendenaktion, mit der sie mehrere zehntausend Dollar sammelte, um sein Gesicht zu flicken. Heute fehlen ihm zwar immer noch viele Zähne, aber lachen kann er trotzdem wieder.





Der plötzliche Tod einer allseits beliebten Person im Anderson Valley und guten Freundin von Geoff – und auch von uns – drückt die Stimmung. Obwohl traurig kommen die Menschen nach der Beisetzung zusammen, es müssen mehr als hundert Leute sein, wie wir später erfahren, um ihr Leben zu feiern.

Die meisten Leute hier leben eher einfach – die reichen Weinbauern einmal ausgenommen. Obwohl viele nur wenig Geld haben, kann man sich ein zufriedenes Leben leisten. Manchmal tauscht man Arbeit gegen andere Leistungen, wie Miete, Essen, Yogastunden. Man bestellt seinen eigenen Gemüsegarten. Kleine Summen von Geld zirkulieren oft nur im Tal. Man hilft sich gegenseitig aus.

Das ökologische Bewusstsein ist ziemlich gross. Zum Beispiel sieht man in Nord-Kalifornien kaum noch Plastiktüten – ganz im Gegensatz zu Lateinamerika, das aus Plastik zu bestehen scheint –, organisches Essen ist immer und überall zu finden, man produziert mit Solarzellen seinen Bedarf an Elektrizität, usw.

Nur eines bleibt paradox: Noch immer lieben die Amerikaner ihre grossen Autos, der Sprit ist billiger als in beinahe jedem anderen Land, das öffentliche Verkehrsnetz ist spärlich und die Distanzen, die man fast täglich fährt, sind lang.




Trotzdem bin ich beeindruckt vom hier erlebten Gemeinschaftssinn und Gefühl der Zusammengehörigkeit, die ich als junges, schweizer Individuum kaum noch kenne. Ja, die Amis haben auch ihre guten Seiten.

Südamerika-Tour 2013-15
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