In Kolumbien und Mexiko
Vom Avocado-Malheur
„Wächst in einem Land die Avocado, dann können wir uns vorstellen, dort länger zu bleiben.“ So unser Motto. Wir sind in San Gil, mitten in Kolumbien. Unser Apartment liegt nur wenige Fussminuten vom Stadt-Zentrum entfernt. Durch die Strassen schlendernd entdecken wir Frauen mit ihren Strassenständen, die Avocados anbieten, welche pro Stück über ein Kilo wiegen. Riesentönder. „Leeecker.“
In über einer Woche werden unsere Freunde des Hostels La Pacha zurück aus den Ferien sein. Solange wollten wir auf sie warten. Unser Apartment ist gemütlich.
Und eine Woche später sind die Freunde da, und wir besuchen sie auf ihrer neuen Finca. Sie ist weit ausserhalb, man hat Sicht in die Ferne und viel Platz unter vielen Mandarinenbäumen. Etliche Jurten, Doms und sogar ein kleines Erdhaus bieten sie an. Der Platz ist grösser als der alte Standort, dort wo wir vor rund 10 Jahren als eine der ersten Volontäre arbeiteten.
Es sind schöne Tage auf der Finca und wir lernen so einige neue Gesichter kennen. Doch auch dann ist mal Schluss und wir buchen uns einen Bus nach Santa Marta.
Am Abend des Abschieds dann erreichen wir mit dem verspäteten Taxi noch ganz knapp den Busbahnhof, kurz vor Abfahrt des Buses nach Santa Marta. Mit Rucksäcken, Decken und Jacken bewaffnet – die Klimaanlagen wird normalerweise auf Kühlschranktemperatur gestellt während der Fahrt – warten wir. Doch der Bus soll nicht mehr kommen. Er wurde abgesagt, eine Demonstration verhindert seine Durchfahrt. Es ist nun um die 8 Uhr abends und bereits dunkel. Wir suchen uns übers Internet (ja, die moderne Technik 🙂 ) ein Hostel in San Gil. Also zurück, einchecken, Bier trinken. Das Ticket für den nächsten Tag haben wir bereits.
Im neu entdeckten Lokalrestaurant mitten in der Stadt bekommen wir am nächsten Tag unser wunderbares Mittagessen, die sehr reiche Suppe Kolumbiens, Reis, Linsen, je nach Bedarf Fleisch und etwas Salat. Durch die Strassen schlendernd entdecken wir Frauen mit ihren Strassenständen, die Avocados anbieten, welche pro Stück über ein Kilo wiegen. Riesentönder. „Leeecker.“ Wir kaufen uns eine. Nein, eine ganze halbe. Eine ganze wäre uns zu viel Avocado. Zuhause beschmieren wir unser Toastbrot mit Avocado und essen Käse dazu. Dazu ein Bier. Jetzt sind wir bereit für den Bus. Also zurück zum Busbahnhof.
Und ja, heute fährt der Bus. Wir wollen das Gepäck den Chauffeuren abgeben, um es in den grossen Kofferraum seitlich des Buses verstauen zu lassen. Hinter uns türmen sich Taschen und Rollkoffers. Der Chauffeur klappt die Seitentür auf. Der Raum ist bereits zum Platzen voll. Zu dritt versuchen sie die Tür wieder zu schliessen. Auf der anderen Seite hat es noch eine solche Tür. Die Chauffeure wissen es bereits. Doch vielleicht ist ja unterdessen das viele Gepäck etwas geschrumpft. Es ist nicht, auch auf der anderen Seite hat kein Täschchen mehr Platz. Die drei sonst sehr schlauen Kerle schauen uns mit leeren Augen an. Kein Platz. Sie stehen da, verloren in einer Welt, wo es keine Lösungen mehr gibt. „Können wir unseren Rucksack nicht in den Gang legen?“, Simons Frage wird sofort bejaht, froh um den intelligenten Einwand. Der Gang des Buses ist bald nicht mehr begehbar. Hoffentlich kippt der ganze Bus nicht auf der Strecke um.
Mir ist schlecht. Und wenn ihr nicht alles wissen wollt, dann geht zum nächsten Kapitel.
Der Bus schlängelt sich durch die Serpentinen der Berge weg von San Gil. Die Stadt liegt auf etwa 1114 Meter. Logisch hat es also auch da Bergstrassen in Richtung Meer. Mir ist schlecht.
Anscheinend hat es heute viel Verkehr. Der Bus wartet auf einer Stelle über eine Stunde bis er weiterfahren kann. Das sei nichts, sagt eine Busmitfahrerin, das letzte Mal warteten sie einen ganzen Tag. Mir ist schlecht.
Wir fahren wieder an. Mir ist schlecht. Ich kotze. In meine Hand. Auf meinen Pullover auf meinem Schoss. Auf die Decke über meinen Knien. Die Flüssigkeit ist schleimig grün wie ein Ghostbusters-Gespenst. Mir ist nun etwas weniger schlecht. Ich bin zuerst sprachlos über das Malheur, raffe dann all meine verkotzten Kleider zusammen und steige über all die Gepäckstücke im Gang bis ganz nach hinten des Buses. Dort ist die Toilette. Doch sie hat kein Licht. Die Taschenlampe ist noch an unserem Platz ganz vorne. Ich steige wieder alles zurück, hole die Lampe und steige wieder ganz nach hinten. Die meisten Leute dösen, und kriegen nichts mit von den verkotzten, stinkenden Kleidern. Das Bad ist eng. Zum Glück habe ich nicht viel Licht und sehe nicht wie dreckig es wohl ist. Der Druckwasserhahn läuft – solange man drückt. Es ist super anstrengend ein Kleidungsstück zu putzen, während man ein anderes noch hält, damit es nicht auf den wahrscheinlich verpissten Boden kommt und der Hahn nur auf Drücken läuft. Und der eklige Schleim, der meine Kehle hochkam, ist wie Leim auf den Kleidern, kaum abwaschbar. Irgendwie schaffe ich es. Doch den Pullover stecke ich sofort in einen Plastiksack, er stinkt. Einen weiteren Plastiksack mache ich bereit für die Weiterfahrt. Denn mir ist irgendwie immer noch schlecht. Es geht nicht lange, und die restliche Avocado schleimt heraus. Der Sack hat nun bestimmt ein Kilo Gewicht erhalten. Doch ich bin noch nicht fertig. Erst als nur noch Luft aus dem Magen kommt, bin ich fertig. Müde nicke ich ein, mit dem vollen Sack in der Hand, zu Müde, um ihn ganz hinten im Bus zu entsorgen.
Anstelle von 12 Stunden sind es 17 Stunden Horrorfahrt. Als wir endlich in Santa Marta und Palomino in unserem Zuhause ankommen, sind wir beide so fertig, dass wir trotz ganz nächtlichem Höllenlärms der Palominer Wochenend-Partyboxen und Billardbars um die Ecke durchschlafen.
Fazit: Avocados esse ich keine mehr seit über einem Monat. Mir wird schlecht davon nur beim Gedanken daran.
Vom Bananatree-Glück
Unser Haus steht noch, doch es gibt viiiiiel Arbeit. Wir sind insgesamt fünf Wochen im Bananatree in Palomino. So Einiges ist kurz vor dem Gefressen werden hier und so haben wir auch einiges zu tun. Das Eingangstor zum Beispiel. Ein kleiner Stoss an den rechten Pfosten und das ganze Tor kippt wohl um. Wir testen nicht, ob das Gefühl stimmt, stellen aber José an, uns eine neue Tür zu bauen.
Der Haag wird bereits von den Nachbarn mit dicken Ästen gestützt. Das kann doch nicht sein. Auch, wenn es den Nachbarn nichts ausmacht, wie sie uns mitteilen. Wir kaufen vier neue Pfosten, buddeln je ein Loch von einem Meter Tiefe und pflanzen die Pfosten ein. Dann ziehen wir mehrere Linien Stacheldraht von Pfosten zu Pfosten und binden den bestehenden Haag daran fest, damit dieser wieder aus eigener Kraft steht. Das Haus vergiften wir, da die Termiten und andere Holzfresser bereits am Futtern sind. Bäume und Sträucher werden zurechtgestutzt. Es sieht wieder einigermassen bewohnt aus. Nun fehlen nur noch neue Mieter. Oder sollen wir diesen Stein am Fuss einfach verkaufen?
Wir gehen übers Wochenende nach Minca, einem ruhigen Ort etwas in den Bergen, um nachzudenken, um die weiteren Pläne für Bananatree zu schmieden. Vom Verkauf des Hauses nehmen wir nach einigem hin und her wieder Abstand. Es ist noch nicht Zeit dafür. Ein Mieter soll her, und das erhaltene Geld in Bananatree investiert werden. Unsere Freunde Maria Claudia und Roberto, die ein Hostel ganz in der Nähe aufgebaut haben, sind sofort Feuer und Flamme. Sie würden sich gerne um das Haus kümmern, es verbessern und danach vermieten. Wir sind froh, haben wir zwei so begeisterte Aufpasser gefunden.
Welcome to Mexiko!
Work, Work, Work, La, La, La
Wenn man arbeitet, hat man nicht viel zu erzählen. Uns geht es momentan genauso. Wir sitzen in einem Apartment in Oaxaca. Das Quartier ist etwas ausserhalb des Zentrums, es ist ruhig hier. Im Gegensatz zum wilden Treiben Kolumbiens – oder besser gesagt Palominos – müssen wir uns zuerst wieder daran gewöhnen, an diese Ruhe. Manchmal vermissen wir Palomino für einen kurzen Moment, doch dann lässt man die Dorfmusik Palominos im Hirn abspielen, und man ist sogleich wieder froh um diese Ruhe. Es ist nicht die Dorfmusik, die einem fehlt, es ist das menschliche Treiben, das Klimpern, das Klirren, das Geschwätz, dass es lebt, man fühlt sich nicht alleine. Es ist das Gefühl eines Campinglagers, es läuft stets etwas. Hier in Oaxaca, Mexiko, hat jeder ein Haus mit dicken Wänden. Es ist ruhig. Und doch geniessen wir auch diese Ruhe, um uns auf unsere Arbeit und uns selbst konzentrieren zu können und nicht immer von äusseren Einflüssen abgelenkt zu werden.
Es ist auch trocken hier. Laut unserer langjährigen Freundin Gina, die im selben Konstrukt lebt, sinkt die Luftfeuchtigkeit an diesen Tagen auf 20 % tief. Das ist wenig. Wir spüren es an den Händen, das ständige Gefühl, man hat Papierhaut, die bald reisst. Man will sie schmieren, bis sie wieder bewegbar und saftig wird. Man spürt es am ständigen Durst nach Wasser. Sogar das Wasser ist hier knapp. Alle drei Wochen soll es kommen, um die 10-tausend-Liter Zisterne zu füllen. Doch manchmal dauert es 4-5 Wochen. Verhältnisse wie in unserem Palomino, Kolumbien, nur anders, da in einer modernen Stadt.
Oaxaca ist sehr vorbildlich. Der Müll wird getrennt. Zweimal die Woche kommt je die nicht-organische und die organische Müllabfuhr. Das heisst, viermal die Woche bimmelt es bei Sonnenaufgang durch die Strassen, was etwa so klingt, wie das Glocken-Geläut, wenn eine Kuh vor Freude über die Wiese galoppiert. Dann weiss man, der Müllabfuhr-Pickup steht an der nächsten Strassenecke. Dann packt man seine paar Tüten Müll und trifft sich mit den anderen Quartierbewohnern bei dieser städtischen Müllabgabe. Glas, Metall und sogar Papier werden getrennt. Trennt man das nicht selber, machen die Angestellten es später. Doch Respekt muss sein, vor einem Job, den man nicht selber machen will, und wir hoffen, auch alle unsere Nachbarn trennen den Müll bereits vorab selber. Diese frühe Müllabfuhr bezahlt die Stadt, für uns ist sie also gratis. Trinkgeld zu geben, ist einem selbst überlassen. Durch den Tag gibt es private, jedoch eher teure Müllabfuhren, die ihren Weg durch die Stadt bimmeln.
Oaxaca hat sehr gepflegte Gärten und Strassenrand-Pflanzen. Das fällt sofort auf. Ob zu einem Quadrat oder einer Kugel geschnitten, oder einfach nur schön herausgeputzt, hier wuchert nichts. Kein Müll liegt herum und verfängt sich in den Dornen der Büsche. Nicht mal auf den etlichen Agave-Äckern. Die Landschaft ist für mich die des Mexikos, wie man es sich vorstellt. Karge Ebenen, ein paar dornige Sträucher, Agave-Felder, die für die Mezcal-Herstellung verwendet werden, in der Ferne felsige Erhöhungen, Hunde und Esel, Staub und Trockenheit. Oaxaca hat mir schon immer gefallen. „Der Tod ist nah und doch sind wir am Leben.“
Unsere Tage verbringen wir arbeitend. Unser neuer Print-on-Demand Shop GRAJF braucht Aufmerksamkeit. Wir sind nun so weit, dass wir bezahlte Werbung schalten können. Während ich letzte Fehler auf der Webseite korrigiere und Werbungsanzeigen erstelle, taucht Simon ein in die abstrakte Welt des Werbe-Online-Marketings, der Werbe-Kampanien-Erstellung und des Werbunganzeigen-Testens.
Zwischendurch treffen wir uns mit Gina auf ein Kaffee oder einen Spaziergang. Auch sie befindet sich in der Umorientierung, versucht, den Kopf über Wasser zu halten und als Übersetzerin Fuss zu fassen um in Zukunft hoffentlich geschmeidig durchs Leben gehen zu können. Der Schweiss tropft aus beiden Büros, zum Glück saugt die Trockenheit Oaxacas wie eine liebkosende Mutter, alles in sich auf.
Neues Rezept: Tepache
Fermentierter Ananas-Saft (oder nach Gina: Knast-Alkohol)
Benötigt wird:
- 1 reife Ananas (möglichst Bio)
- 100 Gramm brauner Zucker/Panela
- 2l Wasser
- mind. 4l Behälter (möglichst Ton/Glas)
- 1-3 Tage Zeit
Man schneidet die Rinde der Ananas in grosse Stücke und fügt diese in den Behälter.
Einen Teil der Ananas-Fleisches kann man nun auch in grosse Stücke schneiden und dazugeben. Ich fügte die halbe Ananas hinzu. (Die Rinde enthält die Gärbakterien, das Fleisch jedoch „nur“ Geschmack.)
Man löst den Zucker (oder die Panela) in 2l Wasser auf. (Das Wasser muss ausgekühlt werden, falls es dafür erhitzt wurde) Wenn man will, kann man etwas Gewürze, wie Zimt, Nelken hinzufügen, da ist man künstlerisch absolut frei.
Das alles kommt nun in den Behälter. Wichtig ist, dass die Ananas-Stücke nicht die Wasseroberfläche berühren, da sie sonst zu schimmeln beginnen. Ich hatte einen breiten Behälter und konnte die Stücke mit einem Teller ins Wasser drücken.
Der Behälter wird geschlossen, oder mit einem Tuch abgedeckt. Zweimal pro Tag wird die Suppe durchgerührt und schwimmende Ananasstückchen abgesiebt.
Nach 24 Stunden bei gemässigten Temperaturen, fängt das Ganze an zu leben. (Ist es sehr warm, wird es schon früher reagieren, ist es sehr kalt, wird es gar nicht reagieren, auch Bakterien brauchen etwas Wärme) Man kann nun testen, ob es einem schon geschmacklich passt. Maximal wartet man 72 Stunde. Zum Abstellen des Gärprozesses schüttet man das Ganze durch ein Sieb in ein Gefäss und stellt dieses dann kühl (Kühlschrank). Es kann mit Wasser verfeinert werden. Ich werde noch etwas Limone hinzufügen und sehen, was es nach meinem Gusto sonst noch braucht. Ich denke, ich nehme es bei Stunde 48. Es hat bereits etwas Schaum gebildet, den ich stets mit dem Sieb entferne und der Saft sieht bereits fein schlackig aus. Nach dem gestrigen Probiertest nach 24 Stunden war das Getränk bereits leicht fermentiert, doch für mich ist es immer noch etwas zu süss und zu wenig blubberig.
Im Wikipedia steht über Tepache:
„Tepache ist ein traditionelles mexikanisches Getränk, das oft in mexikanischen Gefängnissen hergestellt und getrunken wird. Ananas, brauner Zucker (Piloncillo) und Wasser sind die Hauptbestandteile von Tepache…“
Gina hatte also recht mit der Bemerkung über den Knast-Alkohol. Und ich dachte schon ich fände hier im Wikipedia eine schöne Geschichte über die heilige Entstehung, bei der in einem indigenen Volk Mexikos der Dorfälteste, Mister Tepache, das Getränk braute. 😀
Seraina
Wenn ich reise, gehe ich rein in die Welt, wo viele Geschichten geschehen, wo in jedem Moment alles passieren kann (oder auch lange nichts), und meine Neugierde, Inspiration sowie meine Nerven aufs feinste gekitzelt werden.