Auf grosser Reise 2010-12,  Kanada

Quer durch Kanada Aug-Sept 2010

Auf grosser Reise 2010-2012 – Teil I

Quebec

Wir sind angekommen! Das Gepäck wurde gründlich durchsucht, unsere erste Adresse in Montreal haben wir nach langem Suchen doch noch gefunden und wir freuen uns auf unsere bevorstehende Reise.

Wir sind froh, dass Annie, die wir durch couchsurfing.org kennengelernt haben, uns erlaubt hat, ein paar Nächte auf ihrem Sofa zu verbringen und uns bei unseren ersten Schritten durch die neue Stadt so gut unterstützt hat.

Mittlerweile haben wir alles zusammen, was wir für unseren Roadtrip brauchen und brechen heute, dem dritten September, gen Westen auf.

Auf der Autosuche

Unser Ziel ist ein Auto zu kaufen. Unsere neuen «Lieblingsseiten»: craigslist.ca und kijiji.ca

Bei jeder Internetgelegenheit durchblättern wir diese beiden Seiten. Nicht mehr als 1500 Dollar soll das Auto kosten. Schon bald haben wir ein Zettelchen voller Nummern und Simon wird zum Telefonisten.

Nun wird es hektisch. Mit den Bixis, gemietete Bikes – übrigens eine tolle Erfindung, da man in der ganzen Stadt und beinahe jeder Strasse eine Bike-Station hat, es günstig und wirklich gäbig ist – und der Metro fahren wir von Auto zu Auto. Oder würde man besser sagen: Von Rosthaufen zu Rosthaufen? (Man bemerke, dass nicht mal Eines ein Opel war!) Die Autos kosten zwar über 1000 Dollar, leben aber wohl nicht mehr lange… Wie wir erfahren, kommt das vom vielen Schnee und Salz in Montreal. Wäre es nicht besser, ein Auto ausserhalb der Stadt zu kaufen?

Das fünfte Auto ist weit ausserhalb der Stadt. Zuerst wars zuweit für uns – doch jetzt ist es zur Notlösung geworden. Also starten wir den langen Weg … Mit der Metro so weit es geht. Zu Fuss wären es jetzt «nur» noch ca. 1.5 h – und wir entscheiden uns für das Taxi.

Schon bald stellt sich heraus, dass Wally, der Taxifahrer, auch als Verkäufer und Berater begabt ist; zum Pech unseres Auto-Dealers Dan. Dieses Auto hat nicht so viel Rost. Doch es sieht auf den ersten Blick nicht toll aus. Voll von Spinnennetzen und auch die Vögel haben ihr bestes gegeben. Ein Pneu hat kaum Luft … Doch was am Ende zählt ist ja das Innere. So setzt sich Simon schon mal ins Auto und fährt eine Runde. Er ist begeistert und das verwirrt mich vollkommen! Der Dealer ist extrem nervös und irgendwie nicht vertrauenswürdig, der Eindruck des Autos nicht top und zudem ist es das teuerste, das wir uns bisher angesehen haben. Verdutzt schaue ich Simon an.

Wally beginnt sofort den Preis zu verhandeln: «Das Auto sieht nicht gut aus. Hast du wirklich was daran repariert? Verkaufs für 1000 Dollar!» Dan genervt: «Klar habe ichs repariert! Bin ja Mechaniker! Und unter 1200 geht nicht, muss ja auch irgendwie leben können!» – «Aber es ist sicher noch vieles nicht gut! Das Öl ist alt, der Pneu hat keine Luft, die Scheibe ist kaputt … Was ist dann wohl im Innern noch alles nicht gut!?» … Und so geht es hin und her. Die Lippen von Dan sind nun am Beben … Bald zerreist es ihn, denke ich. Bald flippt er vollkommen aus! Er zittert immer mehr! Am liebsten würde ich mich auf Wally stürzen und ihn zum Schweigen bringen. Dan, kurz vor der Explosion – dann zieht er eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche, zündet sich eine an und läuft davon. Wally grinst und ich bin erstmal vollkommen erleichtert.

Als Dan kurze Zeit später wieder kommt geht das Gezeter weiter. Simon und ich stehen etwas abseits und entschliessen uns für den Kauf. Den Preis konnten wir etwas reduzieren. Aber natürlich nicht auf 1000. Auch Wally muss das jetzt akzeptieren. Doch er kann sich schliesslich mit uns begeistern.

Was wir jetzt noch brauchen ist die Versicherung und die Registrierung. Wally warnt uns davor, mit dem Auto ohne Versicherung heimzufahren. Dan beschwichtigt jedoch, dass dies kein Problem sei. Wenn die Polizei uns nach der Versicherung frage, dann können wir einfach sagen, wir hätten eine, die Nummer jedoch gerade nicht dabei. Eine andere Variante wäre, mit den Warnblinkern nach Hause zu fahren. Alle würden denken, wir hätten ein Auto-Problem und seien auf dem direkten Weg zur Garage. Sähe zwar doof aus, aber wir kämen garantiert durch. Damit beginnt der nächste Kampf: Wer überzeugt Simon von seiner Idee. Simon in der Mitte, links und rechts die beiden Herren lautstark am Argumentieren. Ich höre schon bald nicht mehr zu, sehe nur Simons Kopf von links nacht rechts und von rechts nach links drehen. Hin und hergerissen – bis es ihm dann doch zuviel wird und er sich für die sichere Variante entscheidet.

Kurze Zeit später sitzen wir erschöpft im Taxi. Wally plappert fröhlich vor sich hin. Doch wir habens geschafft, wir haben ein Auto gekauft!

In Sachen Gastfreundschaft

“Mein Vater hat ein Zimmer für euch!“ Das geht ja schnell. Kaum habe ich Jo erreicht und um Hilfe gebeten, überrascht er uns mit dieser Neuigkeit. Wir sind müde. Auf der ständigen Suche nach einer Unterkunft und einem Auto sind wir den ganzen Tag durch die Strassen von Montreal geschlendert. Jo`s Nachricht lässt unsere leicht gedrückte Stimmung in Luft auflösen.

Ich lernte ihn vor etwa zwei Jahren auf Koh Pangan kennen, ein junger, aufgestellter Quebecois. Zusammen verbrachten wir ein paar entspannte Tage auf der Insel. Er freute sich riesig, als er erfuhr, dass wir ihn tatsächlich besuchen kommen. „Ruft ihn einfach an. Er heisst Jean-Pierre.“

Noch am selben Abend holt uns Jean-Pierre von der Metro-Station ab und lädt uns für die nächsten Tage in seine Prachtsvilla in einem montrealer Vorort ein. Wir haben kaum Zeit, das Haus zu bestaunen. Denn schon sitzen wir wieder in seinem Auto und werden zu einem All-You-Can-Eat-Restaurant kutschiert. Zu einem Glas japanischem Sake dürfen wir uns von einem riesigen Buffet bedienen, so oft wir wollen. Oder können. Denn dies ist Amerika. Und Essen gilt hier als eine Art Volkssport. Wir nehmen uns Rohes, Gekochtes, Gebratenes. Weisses, Grünes, Schwarzes. Sushi finden wir beide lecker, aber müssen fritierte Froschschenkel und Schnecken wirklich auch sein? Zumindest mal probieren. Als ich mit schwangerem Bauch meine Brieftasche hervorsuche, winkt Jean-Pierre ab und zückt seine Kreditkarte. Wir sind schliesslich seine Gäste.

Seit vierzehn Jahren lebt Jean-Pierre zusammen mit seinem marokkanischen Lebenspartner Benjamin in ihrem selbstkreierten Haus. Durch verschiedenste Firmen und Geschäfte ist er zu grossem Geld gekommen. Er geniesst es, dieses ständig in Umlauf zu bringen und wir dürfen nun davon kosten. Wir bewohnen unsere eigene Wohnung im Keller und werden täglich verwöhnt. Sei es von Jean-Pierre`s Chauffeur-Diensten, die wir zum Abholen unseres neuen Hondas benötigen, seiner Hilfe beim Abwickeln von Versicherungs- und Registrierungsangelegenheiten oder auch von Benjamins arabischen Kochkünsten. Ihre Gastfreundschaft ist einfach unglaublich. Fast schon unverbesserlich. Möchten wir vom Einem nehmen, wird darauf bestanden, dass wir vom Anderen auch gleich nehmen.

 Wir bekommen ein richtig schlechtes Gewissen und überreden die beiden, uns für einen Abend die Küche zu überlassen und bereiten zum ersten Mal unsere zukünftig berühmt-berüchtigten Äplermakronen mit selbstgemachtem Apfelmus. Die erst skeptischen Blicke verwandeln sich schnell in ein angenehmes Lächeln. Unsere „Schwizer Chochi“ scheint zu munden. Dennoch lassen die zwei es sich nicht nehmen und servieren zum Nachtisch eine dicke Früchtetorte. Nun, es ist Serainas Geburtstag, also haben wir nichts dagegen.

Wir beginnen damit, uns in den riesigen Shoppingquartieren mit Camping-Utensilien einzudecken. Kaum zu fassen, diese Einkaufszentren. Aus dem Canadian Tyre die Angelrute, dem Wal-Mart das Zelt, dem Best-Buy das Autoradio.
Zuhause verstauen wir alle Sachen im Auto und machen uns bereit für unsere erste Etappe ins zwei Stunden entfernte Mont-Tremblant, wo wir Jo treffen wollen. Wir verabschieden uns von Jean-Pierre und Benjamin als kennten wir uns schon seit immer, nicht erst seit sechs Tagen. Wir merken, dass besonders Jean-Pierre unsere Gesellschaft sehr genossen hat, was uns das Gefühl vermittelt, dass wir auch etwas geben konnten.
Als wir endlich bei Jo ankommen, werden wir von ihm und seinen Mitbewohnern Julie und Guillaume herzlich empfangen. Schon wieder sind wir „zuhause“. Jo macht uns sogleich sein Zimmer zurecht. Wir dürfen bleiben, solange wir möchten.

Nachdem wir uns eingerichtet haben, fahren wir ins eigentliche Mont-Tremblant, das eine teure, touristische Nachahmung eines europäischen Skiorts ist. Ich würde es von den kitschigfarbigen Häusern eher mit Disneyland vergleichen. Später werden wir von Jo zum Abendessen im Restaurant, wo seine Schwester Marie arbeitet, eingeladen. Wie der Vater, so der Sohn.

 

Aber nicht nur er, sondern auch seine beiden Mitbewohner geben ihr bestes als Gastgeber. Wir dürfen sogar Guillaumes Kanu ausleihen. Er hilft uns, es auf dem Dach unseres Autos zu installieren und wir fahren an den kleinen Lac Mercier. Als wir hinausrudern, macht sich in uns eine friedliche Stimmung breit. Die Sonne scheint, wir sind fast alleine auf dem See, umgeben von Wald und Hügeln.

 

Auch zurück bei Jo bleibt die entspannte Atmosphäre bestehen, als ob wir zur Familie gehörten. Wir werden ihnen das nie vergessen und hoffen, dass man sich, wenn man sich einmal und zweimal trifft, auch ein drittes Mal über den Weg läuft.

Die Geschichte unseres geliebten Autos

Unser geliebtes, schön schwarzes, niedliches Auto meldet sich zu Wort. Es macht komische Geräusche. Es scheppert… Einfach weiterfahren, oder doch mal nachschauen? Wir entscheiden uns für das zweite und Simon kriecht zum ersten – und noch lange nicht zum letzten Mal – am Boden herum. Das eine Blech, welches den Tank nach oben halten sollte, hängt lose herunter. Und das zweite ist schon lange weg. Der Tank hängt auch irgendwie schräg. Also geht’s wohl ab zum nächsten Mech.

Im nächsten Dorf Hornepayne sehen wir bereits in der ersten Kurve eine Garage mit Tankstelle. „Sieht aus wie eine Hobby-Garage, das kommt ja gut!“, denke ich mir. Der Chef hört sich unser Problem an und erklärt uns bald: „Der beste Mech ist Bill und er wohnt gleich da drüben! Wenn er keine Zeit hat, kommt zurück und ich ruf meinem Mech an“ Also weiter zu Bill. Sein Haus finden wir schnell. Ein irgendwie planlos wirkender Typ klärt uns auf, dass Bill in ca. einer halben Stunde wieder zuhause ist. Wir warten eine gute halbe Stunde – oder eher gleich mehrere. Mit der Schnur haben wir unterdessen versucht, das Auto selbst zu flicken. Doch Bill ist immer noch nicht da. So kommt unsere Notlösung zum Zuge und wir fahren zurück zur Garage um einem Mech seinen freien Sonntag doch noch mit Arbeit zu versauen. Doch kaum sind wir dort angekommen… fährt Bill um die Ecke. Voller Freude fahren wir zurück zu ihm.

Während Bill das Auto flickt, sitzen wir in der Stube und trinken mit seinem Kollegen Kaffee. Es ist gemütlich, doch sehr klein und wie wir erfahren kaum isoliert. Im Winter können sie nur mit dem Ofen in der Stube etwas heizen. Mich frierts gleich bei dem Gedanken. Eisige Kälte, zwei Meter Schnee… und keine Isolation, keine richtige Heizung… brrrr.
Bill ist bald fertig. „Der Tank hat noch an ein paar Kabeln gehalten. Bald wäre er hinunter gefallen!“, erklärt er uns grinsend. Da hatten wir ja wiedermal Glück! Nicht mal Geld will er, was wir natürlich nicht zulassen. Wir plaudern noch ein bisschen. Die beiden wirken sehr zufrieden. Zum Abschied stecken sie mir eine ganze Hand voll Zigaretten zu. Ich kann sie kaum halten, so viele! Bin nur noch Baff. Stotternd und völlig verstört bedanke ich mich bei den beiden, die um die Wette grinsen.

Die zwei Spannsets am Auto halten sich gut. Das Auto fährt und fährt, durch den Yellowstone, Banff und Jasper Nationalpark, über die Rocky Mountains, in einen Wald – und nicht mehr hinaus.

Ein Stein war etwas zu gross. Ein Spannset weg. Der Tank wieder schräg. Da das nächste Dorf zu weit entfernt ist, müssen wir zurückfahren. Bald entdecken wir einen Campingplatz, verwaltet von einem Ehepaar, Tweazle und Peter. Dort wollen wir eine Nacht bleiben. Simon erkundigt sich auch gleich nach einer Rampe, um das Auto selbst irgendwie wieder zu flicken.

Doch Peter will uns helfen und sich das Ganze gleich am nächsten Tag anschauen. So ist es dann auch. Circa drei Stunden lang liegt Peter unter dem Auto, holt Ketten, schneidet Holz zu und schraubt alles zusammen. Er tüftelt und stöhnt dazu immer wieder. Ja, unter dem Auto liegen ist nicht das bequemste. Simon und ich schauen uns nur an und zucken mit den Schultern. Ein unwohles Gefühl macht sich in uns breit. Peter sollte eigentlich noch viel anderes erledigen, da die zwei morgen für drei Wochen nach England fliegen. Und nun kommen wir mit unserem Auto, in das er all seine knapp vorhandene Zeit investiert. Wie können wir das je gutmachen? Im Gespräch mit uns findet Peter heraus, dass der Auspuff recht laut tönt. Jetzt könnten wir uns erst recht ohrfeigen. Denn Peter macht sich natürlich sofort an die Arbeit, um auch dieses Problem zu beheben.

Das Auto ist wieder ganz und wir betteln, auch etwas für ihn tun zu können. „I must go and ask my wife“, antwortet Peter und stapft fröhlich in Richtung Haus. So verbringen wir den Nachmittag mit Autowaschen und Holz für den Winter Vorbereiten, was – kaum zu glauben – ein richtiger Spass ist.

Vom Grasland und vom Gelben Stein

Noch sind wir gar nicht lange unterwegs und schon haben wir die grosse Provinz Ontario durchquert, die unzähligen Seen, Wälder und den Lake Superior hinter uns gelassen.
In Manitoba beginnen das Kuhland, die Getreidefelder, die Prärie. Heftige Regenschauer haben uns so schnell vorangetrieben. Die 30 Grad in Montreal sind längst vergessen. Immer wieder hat uns die Sonne zu versöhnen versucht, aber einfach nicht vehement genug.

Deshalb entschieden wir uns, vorzeitig Richtung Süden weiterzuziehen. Einem Ziel zu, das wir uns auf der Karte fett markiert haben, einem Highlight jeder Reise. Dem Yellowstone Nationalpark.
Aber wir werden, bevor wir überhaupt die Grenze überschreiten können, nochmals überwältigt. Der auf unserer Karte als kleiner, grüner Fleck ganz am unteren Rande Saskatchewans gekennzeichnete Grasland Nationalpark, ist in Wirklichkeit gelbes, goldenes Land. Es ist die Weite der Prärie, die uns anzieht, uns einlädt zu bleiben. Dass diese trockene Gegend viel Sonnenschein verspricht, soll uns nur recht sein.
Wir richten uns in “The Crossing“, einem Campingplatz am Rande des Parks, gemütlich in einem Tipi ein. So lässt es sich noch einfacher vorstellen, wie hier früher Indianer Jagd auf Bisons machten. Fehlen nur noch die Rauchzeichen am Horizont.

Am folgenden Tag spazieren wir los, hinein in die Felder und Hügel, vorbei an Murmeltieren und Antilopen. Es ist ein wunderbarer Tag. Und es fühlt sich gut an, nach tagelangem Autofahren wieder einmal seine Knochen und Muskeln zu betätigen und zu spüren.
Glücklicherweise treffen wir auf keine Klapperschlangen, die zur Zeit auf dem Weg in ihr Winterschlafrevier sind. Leider auch nicht auf Bisons. Seit einigen Jahren leben wieder ein paar hundert Tiere im Park. So beobachte ich sie nur in Gedanken, wie sie in den Weiten vor uns grasen. Gerne hätte ich sie gesehen.

Ohne Weiteres passieren wir am nächsten Morgen die Grenze und geniessen die Fahrt auf dem schnurgeraden Highway durch Montana. Als gegen Abend die Hügel langsam zu Bergen heranwachsen, wissen wir, wir sind fast am Ziel. Wir verbringen die Nacht auf einem kleinen Zeltplatz unweit des Eingangstors zum Park. Morgen werden wir in eine andere Welt eintauchen, in ein Land vor unserer Zeit. Schon jetzt meinen wir, uns in einem alten Walt-Disney-Zeichentrickfilm zu befinden. Kaninchen, Streifenhörnchen und hamstergrosse Chipmunks unterhalten uns prächtig. Nur Yogi-Bär haben wir noch nicht getroffen.
Dann ist es soweit. Wir fahren hinein in den Yellowstone Park. Entlang eines Baches steigt die Strasse an, durch Föhrenwälder, karge Berglandschaften, offene Sümpfe und Weiden. Immer wieder steigen weisse Säulen von heissem Dampf über Seen und Quellen auf. Wir kutschieren auf einem äusserst aktiven Vulkan herum, dessen Ausbruch längst überfällig sei. „Heiss“, denke ich laut. Wenn jetzt hinter der nächsten Kurve Dinosaurier auftauchen, ich wäre keineswegs überrascht. Ich kann sie deutlich vor mir sehen. Lange Hälse, die sich in Bäume strecken, behornte und gepanzerte Riesenechsen dazwischen. Giganten der Urzeit.
„Da! Siehst du sie?“ Wir halten natürlich sofort an, zusammen mit anderen schwer motorisierten Parkbesuchern, die auch zu dieser Jahreszeit noch zahlreich anzutreffen sind. Nein, es sind keine prähistorischen Urwesen. Vorkolonial vielleicht. Das schon.

Eine Landschaft wie ein Ölgemälde öffnet sich vor uns. Im Hintergrund ein felsiger Berg, kunstvoll geschwungene Hügel, ein mit sanften Wolken verzierter Himmel, davor eine strohig gelbe Ebene, die ruhig und leer daliegt. Nur ist sie nicht ganz leer. Neben einem kleinen Baum ruhen sich zwei Bisons aus, nicht weit von ihnen grast ein dritter und noch einer steht ein bisschen abseits. Für eine Weile stehen wir nur da und betrachten sie. Ein ehrfürchtiges Gefühl macht sich in mir breit.
Noch weiss ich nicht, dass ich später, wenn sich der Verkehr wieder einmal staut, sagen werde, dass da wohl wieder ein paar frische Touristen so einen Büffel am Strassenrand entdeckt haben müssen. Denn sie sind überall. Ein kleines Stück weiter halten wir wieder. Gleich neben der Strasse steht ein einzelnes Tier, ein mächtiger Bulle. Imposant, dieser Körperbau! Der heisst von nun an Raul.

Während wir ihn gebannt anstarren, kommt Raul immer näher. Seraina wird es etwas ungemütlich und weicht zurück. Nicht so eine andere Touristin, die wohl noch kurz Rauls Pupille fotografieren muss. Raul fühlt sich in seiner Männlichkeit verletzt. Er schnaubt. Gerade, als ich meine, dass es zum Zusammenstoss kommt, zieht sie sich hinter ihren Mann zurück.
„Schau!“ Seraina zeigt auf ein hundeähnliches, grauweisses Tier weiter hinten, das sich durch den Busch bewegt. Die Zoomobjektive der grösser werdenden Menge sind bereits umgeschwenkt, Raul trottet vergessen davon. Ich schaue und staune. Tatsächlich. Ein Wolf. Und wir haben den Park kaum betreten. Ein schöner Beginn unseres Besuches.
Nicht nur die Tierwelt ist spektakulär. Die Teiche und Geysire rund um den “Old Faithful“, der unbeirrt alle 90 Minuten eine Fontäne in den Himmel schiesst (im Visitor Centre nebenan gibt eine Uhr die jeweilige Ausbruchszeit an), funkeln und glänzen in wunderschönen grünen, türkisblauen und schweflig gelborangen Farbtönen. Mystisch schön.
Und die Geysire sind beliebt. Der “Alte Treue“ zieht alle eineinhalb Stunden eine bunte Traube von Schaulustigen an. Es gibt hier sogar eine Gruppe von Leuten, die sich die Geyser-Gazers nennen, die Geysir-Gaffer. Sie kennen hier alle Geysire und wissen auch, wann sie ausbrechen. So höre ich einmal eine junge Frau begeistert ausrufen: „Da! Da drüben, der Bienenhaufen bricht aus. Schnell hin!“ Keine Biene weit und breit, dafür eine eher mittelprächtige Wasserdampfsäule, die nicht weit von uns vom Boden aufsteigt.

Die Nächte sind kalt. Es ist nicht mehr Sommer und wir pendeln zwischen 1500 und 2500 Metern über dem Meeresspiegel auf und ab. Aber es ist genüsslich, im Zelt zu liegen und dem Brunftgeheule der Hirsche und Elks (eine grosse, amerikanische Rotwildart) zu horchen. Manchmal aber auch beängstigend, wenn wir wieder mal ein Rascheln oder durchs Gebüsch Streichen nicht recht einordnen können. Wir haben jedoch nie einen Elch oder auch Bären zu Gesicht bekommen. Deshalb haben wir die Theorie aufgestellt, dass all die Schilder von hier bis Kanada, auf denen vor Bärengebiet gewarnt wird, zum reinen Marketingzweck aufgestellt wurden.

Den einzigen Bär, den wir zu Gesicht bekommen

Dem ist natürlich nicht so. Aber ein wenig enttäuscht sind wir schon. Dafür aber sind A- und B-Hörnchen und die vielen Chipmunks unsere treuen Begleiter. Wären sie nicht so niedlich, man käme sich beinahe belästigt vor.

 

Der Wolf wird unser tierischer Höhepunkt bleiben. Auf einer Wanderung erhaschen wir einen kurzen Blick auf einen Weisskopfadler, der hoch oben seine Kreise zieht. Ansonsten sind vor allem Rehe und Hirsche diejenigen, die wir immer wieder antreffen. Sie scheinen sich nicht gross von Menschen stören zu lassen, die sie tagein tagaus fotografieren. Und natürlich Bisons, die hier eines ihrer letzten natürlichen Refugien gefunden haben.
Es gäbe noch vieles zu erzählen und beschreiben. Um sich aber ein echtes Bild von dieser unangetastet scheinenden Welt machen zu können, muss man sie selbst erlebt haben. Am besten, bevor sich der Vulkan noch ein letztes Mal von seiner wahren Grösse zeigt.

Raccoons in Vancouver

Geschafft vom Tag in der Stadt und mit einem kühlen Bier in der Hand schlendern wir nach Hause. Der Heimweg ist weit, doch der Bus ist uns zu teuer.
Endlich eine Bank! Bänke ziehen mich irgendwie magisch an. Und so sitze ich auch schon da und lese laut das Buch des Tao-Pooh und seinen Freunden in meinem schönen sprich-es-aus-wie-es-dasteht englisch vor.

Plötzlich huscht etwas vor uns vorbei. Ein grosser, gestreifter Schwanz. Ach ja… ein Waschbär, denke ich mir nur und lese gelassen weiter. Bis ich hochfahre als hätte mich ein Schlag getroffen. Ein Waschbär? Ein echter, lebendiger Waschbär? Mein Plüschtier in echt? In Kanada? Die sind doch in Australien! Und auch da kann ich mir irgendwie nicht vorstellen, dass es die wirklich gibt. Genauso wie Koalas. Ein Waschbär. Mein Lieblingstier als ich klein war. Ich traue meinen Augen nicht und rede mir schon ein, dass es bestimmt nur eine Katze war – bis das Ding wieder vorbeihuscht. Keine Katze, nein! Ein lebendiger Plüsch-Waschbär!

An diesem Abend sahen wir noch etliche Waschbären am Container leeren und uns nachrennen – süss! Vor lauter Aufregung konnte ich auch kaum schlafen.

Lies die Geschichte weiter, von Vancouver bis Las Vegas, im Kapitel:

Auf grosser Reise 2010-2012 – Teil 2

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